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SKRIFTER UTGIVNA AV INSTITUTET FÖR RÄTTSHISTORISK FORSKNING GRUNDAT AV GUSTAV OCH CARIN OLIN SERIEN I • • RATTSHISTORISKT BIBLIOTEK TREDJE BANDET .f I % A.-B. NORDISKA BOKHANDELN I DISTRIBUTION

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SKHirTKH UTGIVNA AV INSTITUTET FÖR RÄTTSHISTORl SK FORSKNING (iRUNDAT AV GUSTAV OCH CARIN OLIN SERIEN I • • HATTSHISrOHISKT BIBLIOTEK THKD.IK BANDET A.-B. NORDISKA ROKHANDELN I DISTKIBUTION

LUXD 1952 CARL BLOMS BOKTRYCKERI A.-B.

FOKKTAl. INsrrrrrKT föm hä iTsiiis iohisk FOHSKXixci. (irfxDAT AV (IFSI AV OCll CAKIX OLIX. liar i lörsla liandel av Hällshisloiiska sludiiM'. iili,'iviia av iii.stiliilel ar 1951, n'doi,'jorl I'iir insFdiilols iippgil Ivr och iiärmasle planer ITir rranilideii. Av deiina redo^n'irelse rranigar. all insliliilel vid sidan av Riillshisloriska sludier avser all iili,Mva en andra serie. Rällsliisloriskl hihlinlek. onirallaiuU' sU'irre sjiilvsiiindiga arhelen. Av denna serie äro de Iva i(>rsla Randen redan laslslällda lill sill innehåll men iinnu ej iilarhelade i piihlieerharl skiek. Såsom Iredje hand ulsiindes hiirmed ellerh")!jande arhele: Iland iixdirc Iland. Studien znr (ieschichte der (/ernianiselien Fahrnisverfolynini, rrirfallal av jiir. lie. Frik Anners. Översållnini^en lill lyska har nllTirls av herr Frnst lilauert oeh !.franskals a\' prolessorn vid Sloekholms 1 l(’)i,'skola (instan Korlén. Sloekholm i noviMiiher 1952 Rå slyrelsens väi,mar Sucn Tiiiiheifi

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HAND WAHHK HAND STLIDIKN zrn (.IvSCHICHTE DKK GERMA MSC HI<:X FAH RXISVERF () E(i F X (i vox ERIK AXXERS A.-n. XOHDISKA IJOKHANDKF.N 1 niSTRIHl'TKJN

INHALT Seite lunk‘iliing; Aulgabo, QucIUmi iiiui Melhode leil I: Die X’iiulikalion aiivertraiiler l'ahrlial)C ini älicren gerniaiiisclien Hecht. Ahschnill A: Die allgemeine Prohleiiialik des Prinzips Hand wahre Hand im ällesleii geniianischen Reellt Abschnitt R: Das hoeh- iind spälmitlelalterliche sudf'ernianisclie Reellt 1 13 3y Kap. 1. Xordfraiizösisclies Reellt Kap. 2. Eii}»lisclies Reclit Kap. 3. Deutsches Reclit 39 ()7 119 .\bscliiiitt (’.; Das iiiillelalterlielie luirdgeriiiaiiisclie Reclit Kap. 1. Xorwejjisclies uiid isläiidisclies Reclit . .. 179 Kaj). 2. Däiiiselies Reclit Kap. 3. Scliwedisclies Reclit .\bselinilt 1): »Der eifjeiitliche (irund« des Prinzips Hand wahre Hand 179 18() 201 213 Tcil II: Die Vindikation von anverlraiitcr Fahrnis in der schwedischen, dänischen und iiorwegischen Rechtsentwicklung bis zu dem schwedischen Reichsgesetz v. J. 1734, bzw. den däiiischen nnd norwcgischen Reichsgeselzen Christians V. Kaj). 1. Die schwcdische Praxis bis znr Mitte des 17. Jahrhnnderts Kap. 2. Die Entwicklnng ini däiiischen nnd iiorwegischen Reclit bis zn den däiiischen nnd iiorwegischen Rcichsgesetzen (diristians Kaj). 3. Die Entwicklnng iiii schwedischen Reclit his zu dem schwedischen Reichsgesetz v. J. 1734 235 309 324 Riickblick nnd Ziisaiiimcnlassimg .... 1'ngedrnckte Qnellen nnd .^bkiirzniigen 302 370

EINLEITUNG AUFGAHE, QUELLEX UXD METHODE Die hier vorj'elegten Studien zur Geschichle der germanischen Fahrnisverl'olgung I'ussen auf Untersuchungen, deren iirspriingliche Zielsetzung eine andere und eager gei'assle war als die endgiillige. Beabsiehligl war ein Versuch, die Entstehinig der Koniproniisslösungen bei Vindikation gesloblenen bzw. anvertrauten (iiites klarziislellen, die uuler der Bezeicbnung »Lösungsrecbt des Eigenliiniers« nocb beule eine gewisse Rolle in der Diskussion der Probleine inn die inodernen exstinktiven Gulglaubenserwerbe spieten. Ms scbien näinlicb. als könne eine Fntersucbung der Entstebung und ältesten Gescbicbte des Lösungsrecbtsinstilutes u.a. dazu beilragen, griissere Klarbeit iiber die soziale und wirlscbal'tlicbe Funktion des inittelalterlicben germaniscben Eigentumsrecbtsscbutzes zu scbal'i'en. Wiibrend der Arbeit an dieser Aui'gabe erwies es sieb als uninöglieb, der Diskussion des Einlösungsrecbtes auf anverlrautes Gut den Standpunkt zugrunde zu legen, zu dem eine ältere Forscbung betreffend Ursprung und Entwicklung des Prinzips Han d w a b r e H a n d 1 gelangt war mit welcbein Satz die ForIII (teni lU'clilssprichwort Hand wahre Hand [Hand muss Hand mahrcn) inahren (warcn, umercn) sowotil »wacluMi iilier* als »voraiilvvorloii gcj'ciiiilttM» (llilleltraiul S. (i8 It. iiiut Jenle S. 205). Letzlere Hecleiituii}; ist die till ere in I'riesiscliein HectU begegnct der Salz mil dieseiii Sinn in Haiulsctiriflen ans deni 14. Jh. in der N'crsion hand seel hand tnera. In diescr I''as.siinf' ist das Spricliwort Ansdriick der strengen Veranfworlliclikeil des luitleiliers gegeniiber deni Verleilier. Spiiler wnrde das Siiricliworl allnuilitich in Norddeiitsclitand als Ausdruck I’iir das Prinzij) angewandt, dass ein Eigenlunier in gewissen Fiillen kein Vindikalionsreelit aiif anverlranles (iiil liafte. Der Satz bekani dadnrcli niit der Zeit den Sinn »Hand soli iiber Hand waelien* — d.li. derjenige, der eineiii anderen bewegliclie Habe anverlraiite, niusste iilier den Vertrauensniaiin waclien. Sietic unten S. 225 t't'.

2 schung bekaniitlich das niittelalterliche germanische Hechlsprinzip bezeichnet, wonach ein Eigentiimer, der einem anderen be\vegliches Gut aiivertraiit hatte, keinen Rechtsanspruch einem Dritten gegeniiber halte, solern das Gut mit oder wider Willeii des Vertrauensmaimes in den Besitz eines Drillen gelangl war. Die Schlussfolgerungen, zu denen die friiheren Forschungsergebnisse fiihrlen, schienen näinlich mit dem Zeugnis der Quellen nicht im Einklang zu stehen. Es ergab sich somit die Notwendigkeit einer erneuten Priifung der mit Ursprung imd allester Entwicklung des Prinzips H.w.H. im germanischen Recht zusammanhängenden Fragen. Diese Aufgabe erschien um so dringlicher, als ein sehr wichtiges Material — die engliscben mittelalterlichen Quellen —von den Forschern, die der Geschichte des Prinzips H.w.H. besondere Beachtung geschenkt haben, so gut wie völlig vernachlässigt worden isl, obwohl dieses Quellengut schon Anfang dieses Jahrhunderts in wesentlichem Ausmass der Forschung leicht zugänglich vorlag. Es zeigle sich auch bei einer Untersuchung der Quellen, auf die sich diese Forschung stiitzte, dass das nordgermanische Material nicht gebiihrend beachtet worden war. Xoch Benckert, der in seiner 1925 erschienenen Arbeit »Om exstinktiva förvärv av lös egendom i god tro« die Ergebnisse der älleren deutschen und französisclien Forschung eingehend diskutiert, vernachlässigt fast vollständig das norwegische, dänische und isländische Recht. Da die deutsche und französische Forschung auf diesem Gebiet hauptsächlich auf dem sudgermanischen Material fusst, fehlt also eine Darslellung, die das Problem unler Beriicksichtigung der Quellen des g e s a mt e n germanischrechllichen Gebicles zu lösen versucht. Die Aufgabe bei einer erneuten Priifung von Ursprung und friiliester Entwicklung des H.w.H.-Prinzips wiirde also eigenllich darin bestehen, unter Auswertung des jetzt zugänglichen mittelalterlichen Quellenmaterials zur Vindikation anvertrauler Habe aus dem ganzen germanischrechtlichen Gebiet diese Fragen erneul zur Diskussion zu stellen. Eine solche Aufgabe ist indessen zu umfangreich, als dass sie im Rahmen einer Dissertation gelösl werden könnte. Die Untersuchung musste daher, soweit sie das siidgermanische Recht betrifft, auf die wichligsten Quellen des nordfranzösischen, englischen und deulschen Rechts beschränkt wer-

3 den. Uin das bisher nichf aiisgewertete englische Material aiisfiihrlicher erörtern zu köniien, babe ich bier auf eine Hehandlung der in den letzten .lahrzehnten zugänglich gemachten schweizerisclien, belgisehen und holländischen Quellen verzichten miissen. Gewisse wegweisende Qiiellenstellen ans diesen letztgenannten Gebieten werden indessen herangezogen. Dagegen babe ieb versucbt, alle nordgermaniscben Qnellenslellen, die geeignet sein können, Anfscbbisse iiber den Ståndpunkt der nordiscben Land- iind Landscbaftsrecbte beziiglicb der Vindikation anvertrauter Fabrbabe zu geben, bier zu erörtern oder wenigstens anzufiibren. An die Untcrsuebung des nordgermaniscben mittelalleiiicben Recbtes scbliesse icb einen Abscbnilt iiber die Entwicklung auf dem einscblägigeii Gebiet im scbwediscben, norwegiseben und däniseben Recbt bis zuin Beginn des 18. Jbs. an. Die Aufgabe in diesem letzteren Abscbnift ist eine andere als in den Teilen der Arbeit, in denen die mittelalterlicbe Recbtsentwicklung untersuebt wird. Es soli bier ein Beitrag gegeben werden zur Klarlegung gewisser grundsiitzlicber Fragen betreffend das Prinzip H.w.ll., die gemeingermaniscbreebllicbe Reicbweite baben, und zwar durcb eine Untersucbung von grossenleils bereils bekanntem Material. In dem letzten Abscbnitt beabsicbtige icb eine mebr ins Einzelne gebende Scbilderung der Recbtsregelentwicklung binsicbtliob der Vindikation anvertrauten Gates im nordiscben, besonders scbwedi.scben Recbt, sowie imZusammenbang damit eine Untersucbung, in welcbem Umfang Einfliisse anderer Recbtssysteme und Recbtsgebiete diese Entwicklung beeinflusst baben. Der fraglicbe Abscbnitl fusst auf einem bisber grossenteils unbekannten Material von Recbtsfiillen, vor allem aus der scbwediscben Recbtspraxis. Scbon die Aufgabe, dieses Material in Gegeniiberstelbmg zu dem friiber bekannten Material aus Gesetzen, Doktrin imd Praxis vorzulegen, isl so umfassend, dass es leider ausgescblossen ist, es in diesem Ziisammenbang eingebender zu diskutieren. Icb babe micb in der Hauplsacbe damit bescbeiden miissen, die äussere Entwicklung der Recbtsregeln und die von aussen auf diese einwirkenden Einfliisse zu scbildern. Bei der Untersiicbung der Gescbicble des Prinzips H.w.H. erwies es sicb als zweckmiissig, eine Regel unberiicksicbtigt zu las-

4 sen, die häulig, aber doch wohl kauni mil hinreichender Begriiudunj» hierhergeslellt worden ist.- Diese Regel betrifft anvertrautes Gut, das durch Diebstahl oder Raiib aus demResit/, des Verlraiiensmannes gekommen ist. Im mittelalterlichen germanischen Recht gait fiir diese Fälle lange, dass der Vertraiiensmann —nicht der Eigentiimer —bel'ugt war, als Kläger gegeii den Dieb oder Riiuber aul'zulrelen. Die fragliche Regel stand indessen weder genetiscb noch funktionell mit dem Satze. dass der Eigenliimer bei Enterschlagung oder Pfändung anvertraulen Gules keinen Rechlsanspruch gegen einen Drillen geltend machen kann, in einem solchen Zusammenhang, dass es gerechlferligl ware, sie unter das Prinzip H.w.H. einzuordnen, welche Rezeichnung von einem Recblssprichwort herruhrt, das als Typenfall fiir Unlerschlagimgen galt. Denn das fehlende Vindikationsrechl beziiglich veruntreuler liabe im älteslen germanischen Recht beruhte —dariiber herrscht in der neueren Forschimg Einigkeit —darauf, dass man in diesem Recht noch nicht zur Entwicklung einer Prozessform gelangl war, die diese Situation gedeckt hälle.'* Dagegen gill es seit langem als ausgemacht, dass die Ursache, weshalb die älteslen germanischen Quellen dem Vertrauensmann und nicht dem Eigentiimer das Klagrecht gegen den Dieb zusprachen, darin zu suchen ist, dass die Vindikationsregeln bei Diebstahl vom Viehdiebslahl und von der Verfolgung der Spuren des Diebes und des geslohlenen Viehs ausgingen. Pollock and Maitland scheinen die beste Gharaklerislik der sich daraus ergebenden Konsequenzen geboten zu haben: »When there has been a bailment and the chattel has been taken from the bailee's possession, it is natural that, .so long as proseculion means speedy pursuit, the right and duty of prosecution should be his. The bailor, it may well be, will never hear of the theft until it is some days old and the tell-tale hoofmarks have been effaced.* * Hierzu kam, dass fiir das ältesle germanische Recht Schwierigkeilen enlstehen koimlen, wenn sowohl der Eigentiimer als der Vertrauensmann berechtigt sein solllen, gegen den Dieb zu klagen. Die wahren Parteien des älteslen Prozes.ses waren • Vgl. Benckert S. 1. ^ Vgl. Benckert S. l.'jg Fn. 48 iinci van .VpeUloorn S. 1()8 if. * Pollock and Maitland 11 S. 157. Vgl. Ilold.sworth II .S. 70 1.

5 ja die in den Zwisl verwickelten Sippen. War die Habe innerluilb einer Sippe anverlraul, so war es gleichgiiltig, ob der Eii^enlumer o{ler der Verlrauensinann Klage liilirte. Ein Konflikt betr. der Diebstablsbnsse wnrde innerlialb der Sippe ansj'elragen. Dieser Fall bereilele also keine Schwierigkeilen. Anders verbiell es sieb, wenn die Fabrhabe einer Person anvertrant worden war, die zu einer (iinlcren Sippe gebörte. Dann erbob sich die Frage: welehe Sippe sollle Klage fiibren nnd dainit die Busse erhållen? In Fbereinsliinninng mil der Enlwieklung der Vindikalionsregeln, wnrzelnd in den bei der Verfolgnng der Spnren geslohlenen Viehs sicli ergebenden Silnalionen, spraeh das langobardiscbe Recbt deni Verlranensniann das Anreeht aid diese Bnsse zn.*"’ Der Salz, (lass der Verlranensinann, niebt der Eigentiimer, bei Diebslabl anvertranter llabe Klage zn fiibren habe, wnrzelle also in der sippenmässigen Slriiktnr des allgennanischen Gemeinwesens; als diese Gesellsehaftsform dnrcb andere abgeliist wnrde, mnssle eine solehe Regel allmählich forlfallen. Am Ansgang des Mitlelallers begann sie anch zii verscbwinden —wäbrend zngleieb die an das Reebisspricbworl H.w.H. gekniipfle Regel, dass dem bngenlnmer belreffs anverlranler Habe kein Vindikationsrecht znslebe, in den Geselzen immer fester verankert wiirde imd ebenso in der Recbtspflege der kontinentalen germanischrecblliehen Gebiele, in die das riimiscbe Rei vindicatio-lnstilnt niebt eindrang, zimehmend Anwendnng land.' Dass die beiden Regeln im I loch- nnd Spälmitlelalter niehl in fnnklionellem Znsammenhang mileinander standen, obwohl sie in einer Qnellengrnppe —Sacbsenspiegel nnd Tochter- (piellen direkt ans der folgenden Darslelhmg der Funktion hervorgeben, welcbe die an das Sprichworl gekniipfte H.w.H.-Regel fiir Gläiibiger- nnd Handelsinteressen bat.^ Was die Regel anlangt, dass mir der Vertranensmann berechligl war, Klage gegen den Dieb zii fiihren, ist zn sagen, dass diese im in denselben Paragrapben niedergelegl sind, diirfle ® Liii!])raiul c. 131. Diose A'orschril't Lsl die älteste Slolluiifjiiahine in f’erinaiiisclu'm Rcchl zu dieser Fraf’o. '* Reispiele hierzu s. Renckert .S. 4(5 und 0(5; lloktsworlh III S. 338 If. ' Im enfjli.scheu C.ommon law eiilfiel das H.w.ll.-Prinzip diirch eine Ausweituuf; der Prozessfonn delinue. Siehe unlen S. 70. ** .Siehe hieriiher l)esunders .S. 134 If. unlen.

6 ausgehenden Mittelalter eiii aus einer ällereii Gesellschaftsform iiberkommener Rest war. Dass sie sich so lange halten konnte, lag vermutlich daran, dass sie nicht mit irgendwelchen wesentlichen wirtschaftlichen Grnppeninteressen kollidierte Sicherheitsinteresse der Eigentiimer konnte in gewissein Masse dadurch gewahrt werden, dass die strenge Verantwortiing fiir anvertraiites Gnt den Vertrauensmann zwang, das Änsserste zn tnn, die Verurteilung des Diehes und die Riickerstattimg des gestohlenen Gutes zu erwirken.*^ Die Stellung des Eigentiimers war gefährdet vor allemdann, wenn der Vertrauensmann starh oder sich der Klageerhehung entzog. Fiir den ersteren Fall gah jedoch hereits der Sachsenspiegel dem Eigentiimer das Recht, sich an die Erhen des Vertrauensmannes zu halten, während z.B. der Schwahenspiegel in heiden genannten Fallen dem Eigentiimer das Klagrecht gegen den Dieh zuhilligte.^® Nach der vorherrschenden Auffassung ware nun die Regel, dass der Eigentiimer im Falle der Unterschlagung oder Pfändung der Hahe sich nur an den Vertrauensmann halten konnte, im Hoch- und Spätmittelalter ehenfalls als Uherrest eines primitiven Rechtszustandes zu werlen, ohne hewusstes rationelles Moliv und lediglich durch die Macht der Tradition forthestehend. Am klarsten ausgedriickt findet sich diese Anschauung hei dem holländischen Rechtshistoriker van Apeldoorn, dem Autor, der sich zuletzt das ® Siehe z.B. Benckert S. 2 f. Hierzu kam die traditionsgebuiidene Riicksicht auf einnial schriftlich niedergelcgfe Regeln. Typisch hierfiir ist, dass die H.w.H.-Vorschrift 11:11:7 des 1603 revidicrten Hamburger Rechtes sich eng an die entsprechende Bestimmung der Statuten vom Jahre 1270 anschloss. (Siehe Benckert S. 45 und van Bemmelen S. 135.) Diese enthielten gleich dem Vorbild, dem Sachsenspiegel — neben der Regel iiber das Fehlen des Vindindikationsrechtes betr. veruntreuter Hahe — die Bestimmung, dass anvertrautes Gut, das durch Diebstahl oder Raub dem Vertrauensmann entwendet worden war, vom Eigentiimer nicht vindiziert werden konnte. Dass die heiden Regeln als zusammengehörig betrachtet und gemeinsam als H.w.H.-Prinzip bezeichnet wurden, diirfte u.a. darauf zuruckzufiihren sein, dass sie im Sachsenspiegel nebst Tochterquellen, die lange im Zentrum der Forschung gestanden hatten, miteinander verkoppelt waren. Wie oben erwähnt, entbehrt diese Zusammenstellung der Regeln in der Forschung der eigentlichen historischen Berechtigung. Benckert S. 9. Gierke S. 560.

7 eingehender mit der Geschichte des Prinzips H.w.H. beschäftigt hat. Er schreibt: »Nein, der Grundsatz ,mobilia non habent sequelam’ ist nicbt eine im Mittelalter aufgekonimene Nenerung, sondern war im Gegenteil der Vberrest eines priinitioen Rechtsziistdiides. Nicbt von einem wirklichen Verkehrsbedurfnis gefordert, schleppte er im Mittelalter seine Existenz fort imd vererbte sich als eine ,ewige Krankheit’ von Geschlecht auf Geschlecht.« Nach Benekerts Auffassimg ist das Fehlen des Vindikationsrecbtes betreffs freiwillig veräusserter Habe fiir das älteste Becht relativ leicht zu erklären —dort liegt die Erklärung u.a. in »dem primitiven, technisch unvollkommenen Charakter des ältesten Rechtes« —, hingegen ist es »weit schwieriger, eine Erklärung dafiir zu finden, weshalb nicbt das Vindikationsrecht im eigentlichen Mittelalter auch auf freiwillig veräusserte Habe ausgedehnt wurde«. Sein Versuch, die Beibehaltung der Regel während »des eigentlichen Mittelalters« zu erklären, wird in der folgenden Darstellung näher diskutiert werden.^^ Vinding-Kruse, der die jungste Zusammenfassung der einschlägigen nordischen Forschungsergebnisse geliefert hat, nimmt an, dass das H.w.H.-Prinzip urspriinglich auf der Primitivität des ältesten germanischen Recbtes beruhte, dass aber mit der Zeit eine Motivverschiebung eintrat: »l)ie Regel vom Schiitz des Dritten vor der Vindikation des Eigentiimers, wenn der Eigentiimer es freiwillig ans der Hand gegeben hat, hat zwar urspriinglich ihren Grund in den äusserst groben Rechtsbegriffen der ältesten Zeit, in wenig entwickelten Gesellschaftsverhältnissen, in einer fehlenden Rechtsbruchktage. Tatsächlich aber wurde diese fehlende Vindikation später im Mittelalter, als die Städte entstanden und der Handel hier grössere Formen annahm, in bohem Grade zum Vorteil fiir den Handelsverkehr in den Städten, indem sie die Käufer von lästigen Nachforschungen nach dem Gewährsmann ihres Verkäufers und nach dem Gewährsmann des Gewährsmannes entband. Und nun war es diese exstinktive Verkehrsriicksicht, Van Apcldoom S. 172 f. Hier kursiviert. Vgl. Schröder S. 777 f. *■ lienekert S. 15(i f. Van Apeldoorns und Benekerts Standpunkle werden unlen S. 33 ff. besprochen.

8 die auf den Plan trat und ziir zähen Hiiterin der Regel wurde, nachdem das älteste Motiv fiir die Regel längst zu bestehen aufgehört hatte. Aher selbstverständlich dauerte es, selbst ndch diescr Motivverschicbung, Umge, bis man sich der rationellen Gnindlagc der Regel klar bewiisst wiirde.«^^ Der entscheidende Punkt in Vinding-Kruses Darstellung der herrschenden Anschauung ist offenbar: wie lange dauerte es, his man die »rationelle Grundlage der Regel« erfasst hatle? Gab es, als die Regel laut einer Vielzahl von Quellen in den gerinanischen Rechtshildungen des 13. Jhs. auflral, ein bewussl erfasstes »rationelles* Moliv fiir sie, oder war sie nach wie vor ein »Cherresl eines primiliven Rechtszustandes*, der unhesehen und ohne Kinsicht in seine Wirkungen z.R. auf den llandelsverkehr milgeschleppt wurde? Zu diesen entscheidenden Fragen hezieht Vinding-Kruse nicht eindeulig Slellung, doch mag es nach seiner Darslellung im iihrigen scheinen, als meine er, dass man erst gegen Ende des Mittelalters zur Klarheit iiher die Wirkungen des ll.w.H.-Prinzij>s auf das Wirtschaftslehen gelangt sei.^’’ Fm die hier aufgeworfenen Fragen heantworten zu können, hedarf es offenhar einer Untersuchung, oh und inwiefern das Quellenmaterial zeigt, dass die hochmittelalterlichen H.w.H.- Regeln durch funktionelle Gesichtspunkte diktiert waren. Diese Regeln diirfen dabei nicht isoliert behandelt werden, sondern sind, jede Quelle oder Quellengruppe fiir sich, in ihrem funktionellen Zusammanhang mit anderen Regeln des Fahrnisrechts, des Prozessrechts und des Vollstreckungrechts zu betrachten —und vor allem natiirlich im Zusammenhang mit anderen Vindikationsregeln. Gleichermassen sind sie in ihrem allgemeinen sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhang zu sehen.^'’ Die Aufgabe besteht an und fiir sich darin, das Material auf andere Weise anzupacken, als es hisher in der einschlägigen Forseining geschehen ist. Bei vergleichenden Studien des hoch- und spätmittelalterlichen Materials zur Geschichte der germanischen ^Mndinf^-Krll.se .S. 1279 t. Von niir kursiviert. Man bcaclilc die Fortsetziing der oben zitierten .\iisfuhrungen dieses \’erf.s. Vgl. .\ul)ert in T.f.R. 1948 S. 4;57 f.

9 Vindikatioiisregeln ist man nämlich in der Regel so verfahren, dass man die Vindikationshestimmnngen aus verschiedenen Teilen des siidgerinanischen Rechlsgebieles ohne grössere Untersclieidnng nach Zeit iind Ranmznsammengestelll nnd dann die demWortlaiit iiach am allgemeinsfen gelassten Regeln als die Haiiplregeln angenommen hal, während andere Regeln entweder als örlliche Ansnahmen oder jedenlalls als Sondertormen von geringerer Bedentiing angesprochen warden. Diese Melhode —an sich erklärlich y.u einer Zeit, wo sieh die Forsehnng erslmalig vor die Anlgabe geslelll sab zu ermilleln. welcbe Regeln gegolten halten niebt iingeläbrlieb. Sie 1'iibrt leicbt dazii, dass die Regeln in einer falseben Perspeklive geseben werden: dass funktionell wicbtige Regeln als Sonderformen beiseitegescboben werden. wäbrend dem Worllaut nacb generelle, im Reehlsleben der Zeit jedoeb weniger wieblige Regeln in ibrem vermeinllieben Charakler von llauptregeln grosse Reacbtung linden.''^ Sie fiibrt auch leichl zu wirkliebkeitsfremden Konstruktionen bei dem Bemuhen, die Ursaeben der Entstebung nnd Kntwickbmg der Regeln aufzuzeigen. Dass iiamenllicb die deulsebe Forsebung diesen Fallgruben niebt entgängen isl, slebl ausser Zweifel.^'’ Die »funktionelle« Metbode slellt indessen so hohe Anspriiebe in bezug auf Quellenkritik und Interpretation, ebenso wie auf Beriieksiebligung des besonderen sozialen und wirlsebaftlicben llintergrundes jeder Quelle, dass sie sicb im Rabmen einer Dissertation niebt ganz konsecpienl durehfubren lässt. Aueb bei einer besebränklen Anwendung ersebeint es indessen möglieb, mit 1 lille dieser Metbode das seit langem diskulierle 11.w.11.-Problem neu zn beleuehten. Wegweisend ersebien bier .lulius Goebels bbnpfeblung: »Form and funelion ean be synchronized. They ean be isl ja *' .Siehe z.ll. lIorl)t'rt Moyers .\rl)oit »ICntwcrung und lugcnluiii im deutsclion Fahrnisrocld«, 1902, dio iiir dioso Molhode cliarakteristiscli ist. .So sind dio wirlschalIsgoschiohllicli wichligen Vindikalionsregoln 1)CtrolToiid (iiitor, dio llandworkorn aiivorlraiit wurden, ini Vcrhiiltiiis ziiiii II.w.Il.-Prinzip niolit gol)uhrond hoaclitct worden. Siehe z.lk Mej’crs Dar- .slolluiig diosor llogolu, S. 7(1 It', und vgl. union S. 147 If. '» Vgl. union S. lOS IT. und S. 210 fl'. (iool)ol; 1'olonv and inisdomeanor, 1937 S. 4. Siohe 1'ornor soino inotliodologisoh wiohligo khnloilung, sowio liir eine konso(|uontoro .\n\vondung dor s>l'unklionollon« Motliodo soino .\rl)oit im iihrigon.

10 followed in proper succession if a due regard is had for time and place and circumstances.* Wie oben auf S. 3 bemerkl, muss die .\ufgal)c in dem Teil, dcr die Entwicklimg im schwedischen, norwegischen und diinischen Rcciit vom Ausgang des Mittelalters bis zum Beginn des 18. Jhs. behandell, auf cine Darstcllung der Entwicklung der Regeln beschränkt werden. Die »funktionelle Methode« wird also auf dieses Material nicht angewandt. Einige Gesichtspunkte zu deu Erageslellungen, die sich bei Anwendung der Mclhode auch auf dieses Material ergeben wiirden, bietet jedoch das Schlusskapitel.

TEIL I DIE VINDIKATION ANVERTRAUTER FAHRHARE IMÄLTEREN GERMANISCHEN RECHT

AHSCIIMTT A DIE ALLGEMEINE PROBLEMATIK DES PRINZIPS HAND WAHRE HAND IM ÄLTESTEN GERMAN!- SCHEN RECHT Das Sprichworl Hand wahrc Hand isl, wie in der Einleilung erwähnl, in der rechlsj'eschichllichen Forschung als Dezeichnung I'iir zwei verschiedene Regelklomplexe des älleren gennanischen Hechtes verwendl worden. Der eine dieser Komplexe besagt, dass der b]igentiimer von Fahrhabe, die er einem anderen anvertraiil hal nnd die von diesein vernntrent oder I'iir eigene Schuld gepl'andel worden isl, gegen Dritle keine Vindikationsklage I'iibren kann, sondern sicb an den Verlraiiensmann zii ballen hat. Der zweile J>esagt, dass nur derV'erlrauensmann Klagreclit hal, wenn die I'ragliche Falirnis ans seinem Besitz gestohlen oder geraiibt worden isl. Ans in der Finleilnng näher dargelegten Griinden werde ich in der I’olgenden Darslellnng die Diskussion auf die mil dein ersten dieser Regelkomplexe zusammenhängenden Fragen beschränken. Mil den Ausdriieken »das Prinzip Hand wabre Hand« oder »H.w.Il.« wird bier desbalb nur der erslgenannle Regelkomplex bezeiehnet.' Die Fragen, die in ersler Linie bei einer Darslellung der Gesebiehte des Prinzips Hand walire Hand eriirtert werden miissen. Iiii Hahnien cior Hegelii, welche die Posilion eines Gliiiihigcrs I’esllogen, wenn er die Fahrnis des Schnldners ])fiindet oder pl'iinden liisst, begegnel in versetiiedenen Znsaninienhiingen die Hesliinmung, dass der liliiid)iger herechligl ist, Kigentiim in .\nspriich zu nehmen, das dein Verlrauensniann anverirant worden isl nnd dieseni bekannterniassen nichl gehört. Weder der Eigentiimer selbst nocb der \’ertrauensinann lial also die Miiglicbkeit, die Interessen des Eigentiiiners gegeniibcr dein GUiubiger zn wahrcn. Ich bezeichne ini I'olgenden derarlige l-'iille als (jiialil'izierte lI.w.II.-Kegelnngcn.

14 belreffen grundsätzliche Probleme der Enlstehung, Giiltigkeit iind Funktion des Prinzips im ältesten germanischen Recht. Diese Fragen sind lebhaft erörtert worden, und man hat zahlreiche verschiedene Slandpunkte verfochten.‘“ Schon die Fxistenz des Prinzips in älterer Zeit ist bestritten worden. Die Vielzahl der Meinungen ist vor allem darin begriindet, dass die Quellen, was das älteste Germanenrecht anlangt. sehr diirltig sowie nach Bedeutung und Reichweite unklar sind. Man hat sich mit »indirekten und negativen» Frklärungsversuchen begniigen miissen.^ l)as spärliche Quellenmaterial bot ein weites Feld fiir Hypothesen und Konstruktionen, wo die eine Annahme nicht selten ebenso glaubhaft oder unglaubhaft wie die andere erscheint. Hinzu kommt, dass die deutschen, französischen und englischen Verfasser, die diese Fragen behandelt haben, das nordische Quellengut, welches in seiner Gesamtheit uberhaupt noch nicht Gegenstand einer komparativen Diskussion gewesen ist, nur in sehr geringem Ausmass beriicksichtigt haben.■* Dies hatte u.a. zur Folge, dass man in Darstellungen der gesamtgermanischen Rechtsgeschichte sich vielfach missverständlich geäussert hat. So schreibt Hans Planitz in seiner Germanischen Rechtsgeschichte (1941): »Wenn der Figentiimer einer Sache die Gewere daran freiwillig aufgegeben hatte, so war sie endgiiltig erloschen. Hatte also z.R. der Figentiimer seine Sache einem Dritten geliehen, so konnte er sie zwar von dem Fmpfänger auf Grund des Leihevertrages herausverlangen. Hatte der Fmpfänger aher * Nähcres zur Literaliir s. bei Bcnckcrf S. 4, und .S. 14(5 ff. sowie van Apeldoorn S. 139 f. Ncueste zusammanfassende Lileraturangaben bei Sebröder S. 778 und Hiibncr S. 433 Fn. 1. ^ Benckert (S. 159) äussert hinsichtlich seiner Krklärung des Prinzips H.W.H.; »der bier vorgelegle Versucb, die Grundlage des Prinzips ,H.w.H.’ anzugebcn, mag vielleicbt reichlich indirekt und negativ erscheinen«. ’ Von den nordischen Forschern — Björling, Estlander und Benckert —, welche die Gescbichte der F’ahrnisklage in einem weiteren Zusammenhang behandelt haben, beschränkt sich Björling S. 75 auf ein Referat der wichtigsten norwegischen, isliindischen und dänischen Bestimmungen ohne nähere vergleiebende Wiirdigung. Benckert, S. 105, verzichtet auf einen \'ergleicb zwischen den nordischen Rechtsquellen, möglicherweise weil er den Standpunkt des dänischen Rechtes fur ungewiss hält, und scheint die Regel des Gulalingsrechtes als von untergeordneter Bedeutung anzusehen. Estlander beschränkt sich im Prinzip auf das schwedische Material.

15 die Sache bereits einem Dritteii weitergegeben, so konnte der Eigentiinier sich deswegen nicht an den dritten Besitzer wenden. Das sagt der Salz, Hand wahre Hand.® Dieser Ausspnicb betril'fl »das Recht der germanischen Vorzeit«. ]2s diirfte geniigen, ihn mit deni Satz des norwegischen Gnlalingsrechles — der in das norwegisehe Landrecbt Magnus Lagab()lers aufgenommen wurde — zu vergleicben, wonach der Eigenliinier in der fraglichen Situation wählen kann, ob er sieb an den balten will, deni er die Saclie gelielien bat, oder an den Dritten, an den sie weitergegeben worden ist,*" uni zu erkennen, dass Planitz' Aussprucli niöglicberweise in bezug auf das iilteste sudgernianiscbe Reclit riclitig sein kann, dass es aber selir zweilelliaft ist, ob er I'iir das nordgernianisclie zutrift't. Planitz' Irrtuni bestelit offenbar in einer unkritiscben Ausdelinung der allgenieinen Anscliauung binsiclitlicli des Standpunktes des ältesten sudgernianiscben Reclites zur Vindikation anvertrauter Sacben. Naeli dieser Anschauung soil das Prinzip H.w.H. ini siidgernianisclien Reclit allgeniein gegolten liaben —sowolil in den sog. Volksrecliten als in den friiliesten angelsiiclisisclien Reelitsbildungen.^ Diese Ansiclit, die sicli in der kontinentaleuropiiisclien Forseliung zu Aiifang dieses Jalirhunderts lierausbildete, ist in letzter Zeit —soweit iiiir bekannt —nur von eiiieni bolUindisclien Forsclier, L. (L. Ilol’niaim, bestritten worden, der zu zeigen versuclit hat, dass das Prinzip nur ausnalimsweise ini älteren sudgeriiianiscben Reeht gegolten babe. Seine Arbeit stiess indessen aid’ so verniclitende Kritik,” dass sie bier unberiicksiclitigt bleiben kann, Man kann Planilz (.S. .‘13) billif’crweisc keincn Vorwurf daraus niachcn, das.s er in cincr gcdriiiifjlon t'bersicht sich beziiglich Einzclhciten irrefuhrend aiisgedriickt liaf — z.H. indem or das Sprichworl H.w.H., das erst iin Spiilniillelaller vorzukoinnien begann, in einc Darslellung iiber das Rocht »der ijerinanisehen Zeit« eiiifjeliihrt hat. Indessen ist seine Darstelliing der ältesten Geschiehte der I'ahrnisklage ini gerinanischen Reeht zweifellos ein beleuehtcndes Reisiiiel fur die Fragwiirdigkeit gemeingerinanischer Konstruktionen auf der (irundlage nur sudgeriiianischen Materials. \gl. Hiibner S. 43(5. " G.L. 49. ‘ .Schroder .S. 300, Rrissaud .S. 220 f., Holdsworth II S. (59 f. Siche auch Planitz, Deutsches Privatrecht, 1948 S. 123 ff. * .Siehe die Diskussion zwisehen ihni und van .\[H'ldoorn in T.v.R. 11, 1932, S. 78 ff. und 133 ff.

l(i mit Ausiiahme eiiier wichtigen Bemerkung beziiglich der Quelle, die als der ällesle —und einzige —direkte Beleg fiir die Giiltigkeit des Satzes H.w.H. im friihereu mittelalterlichen Recht herangezogeii wordeii ist. Es ist dies eine Bestimmung in dein walisisehen Gesetzeswerk des 10. Jhs., als deren Urheber König Howel Dda gill. Die Slelle lautet in einer lateinischen t'bersetzung wie lolgl: •' Leges VValliae III, IIL 38: Sex modi sunt, quibus qnilibet a bonis suis separari potest. In tribus casibus Actor bona sua occupare et juramento vendicare potest; in tribus aliis non potest, nempe in casu Depositi vel ('.ommodati vel Locati. Actio enimDepositi vel Commodati vel Locati contra neminem instilui potest praeter ilium, qui bona ista ab Actore accepit. in tribus reliquis casibus sub juramenlo quod suum est repetere potest; primo in casu Furti; secundo in casu Amissi ob negligentiam; tertio in casu rei domino inscio ablatae. Bona autem bis modis ablata sub juramento repelere potest, quoniam nemo ilia a sua manu accepit; et cum nemo acceperit, quod suum esl, vendicare potest, ubicumque illud videre conligerit. Diese Gesetzesstelle ist als ein entscbeidender Beleg dat'iir gewertel worden, dass der Satz H.w.H. als klar gefassle Regel bereits im älteren mittelalterlichen Germanenrecht gegolten babe. Howel Ddas Gesetzgebung ist zwar eine keltische Rechlsquelle, doch hat man —ohne nähere Beweise —angenommen, die fragliche Regel gehe auf germanischen Kinl'luss ziiruck.**^ Hofmann weist nun darauf bin, dass keine der Handschriflen, in denen sich die Regel findet, alter als aus dem 12. Jh. ist.’' Damit " Zil. nach Meyer .S. .■{2, dcr aiich deii kellischen Text iind eine englisehe t'berselziing wiedergil)!. Heir. Howel Ddas Gesetzgeljiing s. Lloyd 1 S. .‘CD It', iind S. ;154 ft’, sowie Williams S. 1(52 ff. Heir. Lloyds Autorität s. Williams, Vorwort. F. Walter, Das alte Wales, 18.')9, gibt eine lieiite noch braiiebbare Cbersicht iiber das walisischc Rechl, aus der die Selbsliindigkeit dieser Recblsbildung gegeniiber der germaniselien klar bervortrilt. Vgl. Meyer .S. ;52 ff., Henckerl S. .') f. und van Apeldoorn S. L^il f. Hcnckcrl bczielil sich auf Encyclopaedia Hritannica, 11 ed. Art. »Welsh laws*, dessen .\ngaben iiber germanische Einfliisse auf die fraglichen (iesetze sehr allgemein gehalten sind. Neuere Forschungsergebnisse referiert dcr walisische Rcchtshistoriker Wade-Evans im gleichen Artikel der E.H.. 14 ed. “ .Siehe van Apeldoorn .S. 151 und ILH. 14 ed. Art. Welsh laws, wo die iiltesten Hss. 1175—1200 angesetzt werden. Vgl. L. Goldschmidt S. 248 Fn. 7.

17 verriiifferl sich der Wert der Quelle befrächllich. Die fragliche Regel kann ja dann niiiulich ein späterer Zusalz sein —und als solcher eine inleressanle, jedoch nichl sonderlich bemerkenswerle Parallele zii elwa gleiehaltrigen feslländischen Qiiellen, in deneii das Prinzip H.w.H. eindeutig ausgesprochen ist. Fiir die Wahrscheinliebkeil eines Ziisatzes spricht aiisserdem Darurballen nach meinein der Unisland. dass die H.w.11.-Regel last nur in der (iruppe von Reelifsbiiehern begegnet, die unler dein Nanien Venedotian Code geht, dagegen nicht in der ungelahr gleichaltrigen Rechtsbiichergruppe, die als Demetian (lode bezeichnel wil'd. In seiner grundlegenden Arbeit iiber die (ieschichte von Wales erklärt Lloyd aucb: »the nearest approach to evidence of what was contained in the first lawbook is the consensus of all codes and versions*, ein Standpunkt, der die Rerufung auf obige Regel als Reweis fiir die Giiltigkeit des Satzes H.w.11. in der Recbtsbildung des 10. .lbs., sei es keltische oder gerinanische, ausschliesst.''* Henckert aaO. — »die allesle l)ekannle liesliinniung . . . (liirfle .sich in oincin aiis dcni 10. .Jli. slaniinenden Initischcn Geselz linden* — liat ot'I'enbar (ioldscliinidts Itinweis hcziiglicli dos Alters der Handschrinen iiberselien. Ilot'inann selicinl eine Kontrolle in der inodernsten Edition der (ieselze Howel Ddas vorgenoinnien zu lial)en. Meyer .S. .‘k't k’ussn. 10 beliaiiptet iinter llerut'iing aiif das \'or\vorl zu dieser Edition (Owen) iiber das (ieselzeswerk: »tin 11. .Ib. ist es niir iiberarbeitel*. Die lieliaiiptung ist reichlieli kategoriscb, da wir latsiiebtieb niebt inebr iil)er den urspriinglicben Inlialt der Gesetze wissen können, als was sieli bei einer komparativen Studie unter Zugrundelegung säintlieber ältesten Hss. ergel)en wiirde. Gotdseliniidts Kuniiner dariiber, dass die llss. wenigstens 200 .labre jiinger seien als das unbekannte Original, als »unzutrel't'end* abzutun (Meyer), erscbeint daber uin so weniger bereebtigt. Dass die Uss. zablreicbe spiite Zusiitze entbalten, ist woblbekannt. .Siebe z.H. Williams S. lO.'l. Owen betont selbst, S. VII: Thus the codes wbieb have descended to us are compilations from age to age, as the progress of the community recpiired, aiul may be considered to afford a view of the legal practices in use at the l)eriods of the various transcripts.* Lloyd S. .‘1.Ö0. Er meint, dass die bei Owen verzeicbneten lateiniscben Versionen auf alteren keltiscben Texten als den jetzt vorliegenden basieren, und liigt binzu: »and the matter wbicb is common to tbcm may be taken as the nearest approximation we are ever likely to attain to the code wliicb was promulgated by llywel* (.S. 342). Es ist daber interessant, dass d. Prz. 2

18 Ferner ist es zwcifelhafl, oh die walisische Regel auf germaiiischen Einfluss zuriickgeht. Die Aiiloren, die sich auf die Stelle berufen, nehmen dies an mit dein allgemeinen Hinweis, dass niit starken germanischen Einfliissen im keltischen Recht zii rechnen sei. Indessen ist noch keineswegs gekliirl, wie es uin die Reziehungen zwischen germanischem und walisisehein Recht in diesein Punkte steht.^"* Enter solchen Umständen besteht noch grösserer Anlass. die fragliche Quelle aus der Diskussion iiber das fruhmittelalterliche germanische Recht herauszulassen; einer Quelle, die ihrem Ursprung nach sehr wohl rein keltisch sein kann und wahrscheinlich aus dem Hochmittelalter datiert, kann man bei einer Entersuchung der siidgermanischen Rechtsentwicklung zur Zeit der Volksrechte schwerlich irgendwelche Bedeutung beiinessen. Damit entfällt aber die einzige direkte quellenmässige Stiitze fiir die Giiltigkeit des Prinzips H.w.H. iin friiheren mittelalterlichen Germanenrecht.^*^ Cbrig bleibt die indirekte Stiitze — dass die n.w.H. ill keiner (ter lafeiiiischcn VersioiuMi befiegnet, mid iibrigoiis nur in zwei Hss. des »tiweiiliaii Code*. S. Wade-Evaiis S. 259. Beziiglich des gernianisclien Kinflusses in walisiscliein Recht begiiiigen sich Meyer S. ,‘55 und Benckert S. 6 init deni Hinweis auf allgeniein gelialtene .\iisfulirungen in der Ibicyclopaedia Brilannica, 9. bzw. 11. Ed. Vgl. Thurneysen in Z.R.G. 1935 S. 81 If. T. verzichlef, elienso wie Wade-Evans in E.B. 14. Ed., .\rt. Welsh laws, vorsiclitigerweise darauf. sich cingehender iilicr die wecliselseifigen Einfliisse von kelliscliem iind gernianisclieni Recht zu iiussern. Noch in der hisher letzten .Spezialarheit iilier walisisches Recht, Ellis’ Welsh tribal law and custom 1—II, 192(5, erscheint das Verhiiltnis zwischen geriiianischein und kellischein Recht als ini ganzen ungekliirt. Ellis’ eigene koniiiarative Versuche sind iiiit cincni gewissen Misstrauen aufzunehinen. Siehe z.B. Ellis II. .S. 405, wo er die Regel »niohilia non habent sequelani* (die lateinische Entsprechung des Rechtssiirichwortes »Hand wahre Hand*) als römischrec]iflicl\ bezeichnetl Vgl. R.C., 44, 1927. S. 200. Die konscquent durchgefiilirte Triadengruppierung sunt ... in trihiis cdsibiis ... in tribus aliis keltisches Recht. Zuni Triadensystem ini keltischen Recht s. Ellis’ obengenannle .\rbeit sowie Walter S. 3(5. Die friinkischen \'olksrechte iiussern sich iiber die Vindikation anvertrauter Eahrhabe iiberhauiit nicht. iSiehe beziiglich derselben Sohin, Der Prozess der Le.\ .Salica, 18(57, und London, Die .\nefangsklage in ihrer urspriinglichen Bedeutung, 188(5.) Die Bestiniimingen der Lex Visigotoruin iiber die \’indikation sind röniischrechtlichen I’rsprungs (siehe Brunner .S. (570 ».s'c.r modi ist charakteristisch fiir

19 Volksrechte ebonso wie die zeitgenössischen an^elsächsischen Geseize hei Regelunj' der Fahrnisvindikation ohne romischrechtliche Beeiiiriussiiiii^ iinireiwilligen Besilzverlust und lypisch gesehen Diebstahl oder Raid) voransselzen.'" Will man das Problem vom Gesicbtspiinkt gemeiiigermanischen Rechles aus sehen, so steht diesem indirekten Zeu^mis die Tatsache entj'egen, dass schon norNve^ische Landschaflsrechle ansdriicklich im Widersprnch zu dem I'rinzip H.w.H. slehen. Wie ich weiter imten zn zeigen versnchen werde, Hess wahrscheinlieh aneh ein dänisehes Landschaltsrecht die Vindikation anvertranler Habe zii.^*^ Die einander widerspreehenden Zeiis^nisse dieser Quellen denten daraiif bin, dass das Problem der Giilligkeit des Satzes H.w.M. im älteren gernianisehen Recht schwerer zn lösen ist, als die Forschung bisher angenommen hat.’''^ Es isl aiich zii beachlen, dass die verschiedenen Versnche, die Existenz des H.w.Ii.-Prinzips im älleslen germanischen Recht zn beweisen, ebenso wie die Versnche, die Enlstehimg desselben zu erklären, auf Fberlegungen fussen, die gleichermassen auf nordgermanisches wie siidgermaniscbes Recht anwendbar seiu miissten. Man hat die generelle Giilligkeit des Prinzips zu beweisen versucht, und man hat generelle bZrklärungeu fiir die Enlstehimg des Prinzips gegeben: einige (z.R. Meyer) verweisen auf ein Publizitätsprinzip, welches das älteste iiiul van Apclctoorn S. 141.). Selh.st weiiii niati mil von Schwerin (Brunner .S. ()72 l''n. 125) annehinen .sollle, das.s die Lex Baiw. da.s H.w.H.-Prinzip ausdriickte, muss sieh tier Beweiswert der l)elretrenden Slellen datlurch verringern. dass die dortige liegelung aid dein I'iir die Lex Baiw. spezil'ischen Firmalionsvert'ahren fusst. Vgl. van .\peldoorn S. 141. Siehe Meyer S. 27 If. \'an .\peltloorn .S. 141 ft', und 171 f. hebi hervor, das.s man der Lex \'isigotorum und der Lex Baiuvariorum mil ihrer römisehreehllich lieeinflusslen Begelung des Vindikationsrechles keine Bedeulung fiir die Beurleilung der Stellung de.s zeilgenössischen germanischen Reelifes zur l-'rage der Vindikation anvertrauler Halie heimessen darf. Sicherlich gill dies auch fiir die l,ex Burgundionum 19:2 und iS.'Ll, da auch these Rechtstjuelle stark rt'imisehreehtlich heeinflussl war (von Halhan I S. 284 ff.). G.L. 49. .Siehe ferner unlen .S. 198 ff. Die Auffassung, tlass this iillere germanische Reeht allgemein das Vindikalitmsreehl aueh fi'ir anverlraide Giiter gehaht hahe, hrauehl hier nicht tliskidiert zu wertlen. Die Vertreler tlieser Ansiehl sintl von tier Kritik griintllich witlerlegt wortlen. Siehe hieriiher van Apeltloorn S. IdO ff, \’gl. Hofmann T.v.R. 11, 19:52 S. 79 ff.

20 I'ermanische Rechl beherrscht haben und den Salz H.w.H. erklären soli, aiidere (z.B. Benckerl) weisen aid’ den primitiven, leehniseh unvollkoininenen ('diarakler des iiltesten Rechtes bin, wieder andere (z.B. Meisler) linden die Erklännii» darin, dass das alle (lerinanenrecht keinen Eigentuinsschulz an sich kannle, sondern nnr einen Besitzschntz. Es isl auch —von Hensler —geltend geinacht worden, dass der iiberwiej'end stral'prozessiiale Cbarakter des idlesten germanischen Prozesses die Enlvvicklung einer Klage aid' Riickerstattiing von freiwillig veräiisserter Habe aiisschloss.'"" In wesentlichem Einklang mil Meislers nnd Henslers Erkliiriingen sleht die Darslellnng van Apeldoorns, der sich zidetzt aiisI'iihrlich znr Frage geäusserl hat. Er ret'eriert: »Midler-Erzbacb iind Meister haben, znr Erklärung der Xichtverfolgbarheit beweglicher Giiter bei I'reiwilligem Besilzverlnst, aid' die Tatsache hingewiesen, dass das allgermanische Rechl keinen Schidz des dinglichen Rechtes als solchen kenne. sondern nur des dinglichen Rechfes, das in der Gewere ziiin Ansdrnck koniml. Nicht dein Eigentiiiner koinint ein Klagerecht zii, sondern niir jenein, dessen Gewere gebrochen wnrde.« Van Apeldoorn fiigl hinzu: »Diese Tatsache ist wirklich nicht in Abrede zii stellen. Sie gilt nicht niir I'iir das gerinanische Recht, sondern anch t'iir andere primitive Rechle. Klagen, die aid' das ahslrakte dingliche Rechl geslidzt sind. koinmen erst in einein spideren Sladiinn der Rechtsentwickliing vor. Damit ist der FrSiehe Kenckcrls Darslcllung sowie seine Referate imd Krilik t'riiherer \’erff. S. 146 ft. \'gl. van Apelcloorn .S. 161 ff. Ein zu.saniinenfassender .\usdruck des .Standpnnktes der deutsclien Forschiini' in der Fragc, weshalb die Anefangsklafje niehl bei freiAvillif» ausgebiindigtein Gut anbiingig geinaebt werden konnte, findel sicb bei Rrunner, S. 668, wo es beissi: scblagung geliebener und anvertrauler Saclien war deiu Hesebiidigten die .\nefangsklage versagt. Er konnte sicb dann nicbt an den dritten Resilzer. sondern nur an die untreue Hand ballcn, aucb an diese nicbt in der Form des Anefangs. Der Grund der Bescliränkung liegt darin, dass der Scliub die Sacbe an den Kbiger zuriickgeleitet batte, aucli der Tiiler nicbt erst gesucbt zu werden braucbte und seine Tat niclit unter die deidscbrecbtlicbcn Regriffe von Raid) und l)iel)slabl fiel. Hatle also der Rescbiidigte selbst die .Sacbe aus seiner Hand gegeben, so war ein \ erfabren nicbt am Platze, welcbes, wie der .\nel'ang, durcb Verfolgung dcr abbanden gekommencn .Sacbe den Die!) Oder Räuber zu finden l)ezweckte.« Rei Filter-

21 sprung des Grniidsalzes ,niobilia non habenl secpielam' bereits hinreichend anlgeklärt.* Von den generellen Erklärnngsversnchen scheint der llenslersehe die breilesle Ziistiminnng gefiinden zn baben. Benekeii, der Meisters Theorie ablehni, kennzeichnet lienslers Slellnngnalnne als besonders beachlenswert. nnd van Apeldoorn verarbeilet Henslers nnd Meislers Standpnnkle I'olgendermassen mileinander: »Xieht das Publieilätsprinzip oder das Prinzip der Verkehrssicherheit erklärf den Ursprung des Grnndsalzes »niobilia non hal)ent seqiielain«. Die Erklärnng liegt in der Talsache, dass das Kecht nrspriinglich keine anderen Klagen kennt als nnr Klagen ans Delikt nnd keine anderen Vermögensdelikte als Diebslahl nnd Haul). Elrst später entslehen persiailicbe Klagen ans Vertrag nnd ans Besitzstörung nnd erst viel spider dingliche Klagen, welche sich sliilzen aid' das abstrakte dingliehe Rechl.« llenslers Theorie wird von Henckert in einein Pnnkle ergiinzt: »Zwar mag es vielleichl seheinen, als babe der kriminale (diarakter des iiltesten Prozesses bisweilen mir eine iinssere Form dargestellt, beispielsNveise wenn eine Klage ant' Abtretnng eines Grnndsi licks daranf gegriindel wnrde, dass der Beklagle dem Kliiger ilen Besilz desselben widerrecbllich vorenlhalle. Doch will es scheinen, als ob, ohne der Nalnr der Sache Gewalt anzidim, nichl einmal eine solche rein iinssere slral'prozessnale Form bälte heraiisget'imden werden kiinnen t'iir einen Prozess der Art, nm welche es sichl bier gehandelt hidle.«‘‘“ Hiergegen liisst sich jedoch fragen; Wieso hiitle man »der Nalnr der Sadie Gewall angelan«, wenn der Prozess so konstrniert worden wiire, dass der Beklagle bescbnldigt wnrde, dem Kliiger-bagentiimer widerrechtlicb die Hiickgabe seines Eigenlnms zn verweigern? Henslers Theorie deckt t'erner nichl das (jdiizc t'riihmillelallervan Aju'ldoorn S. 170. ^'gl. Hold.sworih II S. 00 f. -- Diose Krilik A])eldoorns V'ariante dor Mouslor.sciien Hypolhesc. •->:! Wcgen dor Spärliolikoit dor Quollon nius.s dio laörloriing des vorliogendon Problonis weitgehond hypolholisch soiii. Benckorts Argiiinonlalion in diosein Pnnklo orschoinl indosson roiohlich vage. Ich soho desliall) davon at), dio l-'ragostollungon, zn donon sio Anlass gibi, woilor zn onlwiokoln. tritn naliirlich anch van Bonckort S. 157 l-'n. -12

22 liche germanische Rechl. Schematisch kann man sagen, dass der ältere germanische Prozess drei Entwicklungsslufen durchlaufeii hat. Auf der ältesten Slufe findet sich neben den Entscheidungen des Sippengerichts nur die Klage auf Busse fiir Verbrechen — Totscblag, Diebsfabl, Raub usw. Auf der zweiten Stufe entwickeln sich verscbiedene Typen von Prozessen, die als Zivilverfahren zu beurleilen sind, formal aber als Deliktsverfabren konstruierl werden. Auf der dritten werden verschiedene Typen von Zivilprozessen vom Deliktsmoment gelöst und treten als selbstiindige Prozessformen neben den Strafprozessen auf. Es fragt sich nun, auf welcher dieser Stufen, die naturlich ineinander iibergehen, die Prozessysteme der Volksrechte und der gleicbaltrigen angelsäcbsischen Rechtsquellen standen. Es ist geklärt, dass wenigstens einige dieser Rechtsbildungen zur dritten Stufe vorgedrungen waren, wenn aucb die zweite Stufe nicht von alien durchlaufen war."^ Ein Hindernis, das in der allgemeinen Entwicklungsstufe des Prozesses selbst gelegen hätte, diirfte also fiir die Herausbildung einer Klage auf Riickgabe veruntreuten anvertrauten Gutes wenigstens bei einem Teil der fraglicben Recbtsbildungen nicbt bestånden haben.-''’ Ziir Entwicklung dcs Prozesses ini älleren und ältesten gernianischen Hccht s. von .Schwerin S. 40 ft'., Schroder S. 90 tf. und Brunner S. 4.$0 t'. Vgl. Planitz S. ;59 tt. Dass die angelsiiclisischen Rechtsbildungen das friiheren Mittelalters zu der dritten obengenannten Stut'e vorgedrungen waren. scheint erwiesen zu sein. Siehe Holdsworth II S. 91 ft'. Dies hat naturlich auch Heusler benierkt. Es heisst bei ihin iHcusler, Inst. II S. 11): Denn ein juristisches, im Rechtssysteme liegendes Hindernis fur eine beziigliche Erweiterung lag, wie wir schon gesehen, nicht vor: weder das Civil- noch das Prozessrecht hätten verwehrt, dass der dritte Erwerber einer Eahrnissache wiire angehaltcn wortlen, auf die mit inalo ordine possides gegen ihn gerichtete Klagc des Eigenthiiiners sich auf seinen (iewährsinann zu ziehen und diesen den Prozess fiir sich fiihren zu lassen, mit der Wirkung, dass er iin Ealle des Enterliegens seines .\ulors die .Sadie hätte hcrausgeben nuissen. Was bei Iniinobilien in dieser Hinsicht geschah, war aucti bei Mobilien niöglich. Dnss es hier iinlerblieb, erklurt sich nur aus deni Munyel eincs prciktischen Bediirfnisses, . . . Im ganzen kann man sagen, dass das Mobiliarrecht auf einer sehr fruhen Stufe der Rechtsbildung stationär blieb, weil die Einfachkeit der Verhditnisse eine Weiterentwickliimj nicht erheischte und die ini Begriffe der (iewere liegenden forniellen Bedingungen cessierten« . . . (Ebd. S. 213) »Ich babe oben g 79 den in deni Sprichworte Hand muss Hand wahren ausgedriickten Rechtssatz daraus erklärt, dass die Eahrnisklage urspriinglich

23 Heuslers iind van Apeldoorns Hinweis daraiif, dass das älteste I'ermanische Prozessrecht uberwiegend Deliklsprozessrccht gewesen sei, bietet also keine befriedigende Erklärung fiir die fehlende Vindikalion anvertraiiter veruntreuler Habe im älteren und ällesfen germanisohen Hecht."*’ Auch Meisters, von van Apeldoorn als Ergiinzung der Theorie Heuslers aidgegrilTene Hypothese, das germanische iniltelallerliche Recht kenne keine »Klagen, die auf das abstrakte dingliche Recht gestiitzt sind«, bietet keine bel’riedigende Erklärung."' An und fiir sich ist sie eine petitio prinmir ills Delicisklage möfjlicli war, und spider, als aueh eine civile Klage auf I'ahrnis ausfiehildet wurde, doeh die lualeriellen Voraussetzungen iler Delictsklaj'e auch fiir sie heihehalten bliehen. Das konule gescliehen, ineil in dem prnktischen Lcbcn kein lirdiirfnis n(n'h einrr Enneitcniny der Vindic(dionsbediinjiiiujen bextnnd.o- (Von iiiir kursivierl.) Kinen Heweis fiir die Kichligkeit dieser die sDeliktstheorie» ergiinzenden Hypolhese von einein in der »Kinfachkeil tier \'erliiiUnisse« begriindeten inangelnden Hediirfnis fiir eine Vindikalion lull Heusler nichl angei'uhrl. Die ttypothese bedeutel eine Modifikation eines von lleusler in Die tiewere, S. öOl, geäusserten Gedankens, dass der Unterschied ini älteren gerinanischen Recht zwischen der \'indikation von unhevveglichein und der von heweglicheni I-iigentuni u.ii. darauf heruhte, dass die Urkunde hci Cherlassung heweglicher (inter nicht ziir Anwendung kam. »Audi die Zuziehung von Zeugen zu Rechtsgescluiften iiher Mohilien war kauni hiiufig, jedenfalls nicht Regel. So war ini Mohiliarprozess fernerhin deni Reweisverfahren aus tleiii einfachen Grunde, weil die Beweisniittel fehlten, eine enge Greuze gesteckt nnd daniit anch tlie \'eranlassnng zn einer .\nsdehnnng ties Klagrechls ties Kigenthiiiners entzogen, tla tier hewegentle Factor einer znr I ntersncluing seines nialeriellen Rechts tlriingentien Reweistluitigkeit felilte. lis hlieh tlaher this alle Reclit heschriinkter Mohiliarverftilgnng hestehen, weil kein Retliirfnis zn l ingestallnng ties Prozesses in tlieser Richtnng fiihrte.» In tlieser Hypothese liegt also der Schwerpnnkt anf der inangelnden Möglichkeit ties älteren Rechtes. eine Vintlikation anvertranten Gntes zn enlwickeln. Znni L'nterschied voiii rtiniischen Recht reagierte das ältere germanische Recht — wie primitives Rectit nherhanpt — schwach gegen Unterschlagnng, van Apeltloorn S. 170. Ini röniischen Recht wnrtle this Delikt als ein fnrtiim - eine conlreclalio frantlnltisa anfgefasst (Merk S. 177). Dieser I'literschietl ist insofern von Retlentnng, als man nicht amiehmen darf, tlass tier .\nefangsprozess, der typisch Diehstahl otler Ranh voranssetzte, rein analog anf vernntrente Hahe ansgetiehnt wnrtle, tlie also dnrch einen Deliktsprozess hätte vintliziert wertlen können. .Siehe znin schwetlischen Recht Renckert .S. 70 ff. Renckerl hat —von antleren .\nsgangspnnkten ans —Meisters Hypothese trefleml kritisiert. Fr schreiht: »tier Ansgangs])nnkt tier Darstelhing Meisters, tlass eine Klage anf Riickerlangiing freiwillig ans tier Gewere gegebenen Gntes gegen einen Dritlen zwangstiinfig in der Form einer wirklichen liigenlnms-

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