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d i e k o d i f i k at i o n u n d d i e j u r i s t e n 151 Vorgegebenheiten des vorhergehenden sowjetischen Rechts allerdings immer mehr entfernt. Zum Familienrechtsgesetz gibt es ebenfalls ein neuer Entwurf. Von dem hier schon gesagten kann man wohl den Eindruck gewinnen, dass der Faktor Europa im Sinn der gemeineuropäischen Rechtstradition oder des europäischen Gemeinschaftsrechts gegenüber die Privatrechtsgeschichte in Estland und dasVorbild Deutschland im konkreten Reformverlauf in Hintergrund oder gar inVergessenheit geraten war bzw. ist. In derWirklichkeit hat man bis etwa zur Mitte der 1990-er die deutsche Privatrechtsordnung als pars pro toto stellvertretend auch für den Faktor Europa überhaupt betrachtet. Seitdem für Estland die konkrete EU-Perspektive eröffnet wurde, hat sich der Faktor Europa für die Träger der estnischen Privatrechtsrefom einerseits von einer europäischen innerstaatlichen Rechtsordnung (Deutschland) auf mehrere europäischen Rechtsordnungen erweitert, andererseits vor allem die europäischen inter- und supranationalen Harmonisierungstendenzen und Erneuerungen mitumgefasst.23 Als Ausdruck der erstgenannten Verständniserweiterung gilt etwa das Erbrechtsgesetz vom1996.Neben dem estnischen Entwurf 1940und deutschem Erbrecht wurden verschiedene europäischen Erbrechtsordnungen (von skandinavischen Länder, Schweiz, Niederländer etc) zumVorbild gezogen und das Erbrechtsgesetz als eine eigenartige Mischung der Lösungen von anderen Länder hergestellt.24 Für den weiteren Verlauf der Privatrechtsreform in Estland wurde aber vor allem die EU-Perspektive und darüber hinaus die legten Prinzip der Gütergemeinschaft aus. Zu den verschiedenen Regimen des Ehevermögensrechts in den ständisch und territoriell verschiedenen Privatrechten auf demTerritorium Estlands vor dem II.Weltkrieg eingehend und informativ:T. Anepaio,Varaühisus – kas nõukogulik igand? [Gütergemeinschaft – ein sowjetisches Überbleibsel?] – In: Juridica, 2002, Nr. 3, S. 193 ff. 23 Vgl. etwa dieWortwahl in einer neuen Koalitionsvereinbarung vom1995:“Beim Ordnen des Rechts- und Gerichtssystems ist vom System Kontinantaleuropas und der Europäischen Union auszugehen”. Hier zitiert nach: H. Mikk (Fn. 15), S. 296. 24 Näher dazu: R. Hausmann, U. Liin, Grundzüge des neuen estnischen Erbrechts. – In: Jahrbuch für Ostrecht, Bd. 41, 2000, S. 262 ff.

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