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PUFENDORF UND UNSERE ZeIT 9 wiirde, was in seinen Kräften steht, um denselben zunichte zu machen oder umsich ihmzu entziehen. Und schlieBlich erkennt auch Pufendorf an, daB es Fälle geben kann, in denen der Untergebene dutch Befehlsverweigerung sugar den eignen Tod in Kauf nehmen muB, so etwa, wenn ein Tyrann ihm befehlen wiirde, die eigenen Eltern oder Kinder zu töten. Wir spiiren beim Lesen dieses Abschnitts wiederumdie unmittelbare Aktualitat der Gedanken Pufendorfs; wir erinnern uns an heutige strafrechtliche Erwägungen uber den Befehlsnotstand, iiber dienstliche Anordnung und militärischen Befehl als Rechtfertigungsgriinde, iiber die Unverbindlichkeit rechtswidriger Weisungen und iiber die richterliche Gewissensfreiheit. Und es wird uns dabei bewuBt, daB die Schulung des Juristen, ja diejenige der Studierenden iiberhaupt, die Erziehung der ganzen jiingeren Generation zum Nachdenken iiber solche Fragen, wie sie die Naturrechtslehre stellte, vielleicht manches Unheil, manches Verbrechen der vergangenen funfzig Jahre hätte vermeiden lassen. Zuletzt noch ein weiteres Beispiel fiir die strafrechtlichen Themen, die Pufendorf herausgegriffen hat:-^ er behandelt einen Fall, wo schiffbriichige Matrosen, die auf dem Meere treiben, einen der ihren ausgelost haben, der sich einverstandlich töten lieB, um seinen Kameraden als Nahrung zu dienen. Nach der Rettung wurden die Uberlebenden vor den Richter gestellt, aber freigesprochen, und Pufendorf stimmt dieser Entscheidung zu, die uns an Vorfälle unserer Tage erinnert, so an den Flugzeugabsturz vor zehn Jahren in den Anden, wo sich die Unversehrten vom Fleisch der Toten ernährten und ausdriicklich die Billigung — moralisch wie theologisch —des Vatikans dazu erhielten. Auch der beriihmte Mignonette-Fall des englischen Rechts,-- wo zwei Seeleute zumTode verurteilt wurden, die als Schiffbriichige in ihrer Not einen sterbenden Leidensgefährten getötet und sich bis zur Rettung von seinem Körper ernährt hatten, sei hier noch erwähnt, um die Gegenwartsnähe von solchen strafrechtlichen Ausfiihrungen Pufendorfs darzutun. Er hat unserer Zeit wahrlich noch viel zu sagen! 4. Privatrecht Im Privatrecht beeindruckt uns schon das, was Pufendorf zur Entstehung der Systematik des Zivilrechts, des sogenannten Pandektensystems, beigeDJNG 11,6,3. Es sei hier erinnert an die vor einigen Jahren in den USA bei vielen kirchlichen Tagungen erörterte Frage, ob ein Christ, wenn sein Atombunker nur Platz und Oberlebenschance fiir die eigene Familie bietet, seinen Nachbarn im Ernstfalle abweisen und damit in den sicheren Tod schicken darf. Hieriiber vgl. den Aufsatz von A. Simonson, Der Mignonette-Fall in England, Zeitschr. f. d. ges. Strafrechtswiss. Bd. 5, 1885 S. 367 ff. sowie jetzt H.-H. Jescheck, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 3. Aufl. Berlin 1978 S. 156. 22

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