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Hans Thieme 8 auch das reformatorische Erbe nach, aus dem er den Gedanken schöpft, in einer Lehre der Pflichten des Menschen die Grundlagen des sozialen Lebens zu umreissen.* GewiB sind viele der natiirlichen Rechte, wie sie Pufendorf darstellt, an das Gesellschaftsbild seiner Zeit gebunden, an den Ständestaat, an die absolute Monarchie, Wenn wir uns aber einmal wieder klar machen, daB es ja nach seiner Auffassung nicht nur ein Naturrecht gibt, welches ein fiir allemal gilt, nicht nur ein ,absolutes' Naturrecht, sondern auch ein ,hypothetisches‘,^® ein ,Naturrecht mit wechselndem Inhalt', das verschieden ist je nach den Erfordernissen von Zeit und Ort, das aber dennoch geprägt ist von gewissen auf die Dauer gultigen Geboten, wie eben zum Beispiel jenem oben erwahnten Gebot der Nächstenliebe, der socialitas, entsprechend dem groBartigen Richtsatz Ulpians ,honeste vivere, alterumnon laedere, ius suum cuique tribuere' —wenn wir uns dieses alles klar machen, so werden eben Pufendorfs zeitgebundene Vorstellungen uns nicht irre machen, sondern das Bleibende, das dauernd Gultige seiner Forderungen fur das menschliche Zusammenleben imStaat, in der Gesellschaft erkennen lassen, auch wo dieselben in Einzelfragen dann zu Ergebnissen fiihren, die wir heute so nicht mehr zu akzeptieren vermögen. Nicht abstrakte Zeitlosigkelt ist das Charakteristische fiir Pufendorfs Naturrechtslehre, sondern konkrete Realisierung oberster Grundsatze in einer gegebenen Wirklichkeit, eine Verschmelzung von politischer Ethik und soziologischer Einsicht des ,rechten Verstandes', der recta ratio. Auch im Bereich des Strafrechts, so etwa in der Lehre von der Zurechnung und vom Notstand, wirkt sich diese Sehensweise aus. Wir erwähnen hier beispielsweise jenen Abschnitt in Pufendorfs ,De Jure Naturae et Gentium', worin er sich mit der Frage befaBt, ob ein Untergebener, der einen ungerechten Befehl seines Vorgesetztenbefolgt, damitselbereinUnrecht begeht?-® In Auseinandersetzung mit Thomas Hobbes vertritt Pufendorf hier die Meinung, daB nur ein VerstoB gegen das Naturrecht und gegen offenkundiges göttliches Recht den Untergebenen schuldig werden lasse. Es wäre, so meint Pufendorf, gefährlich sowohl fiir den Staat wie auch fiir das Gewissen des Einzelnen, wenn jeder Zweifel an der RechtmäBigkeit eines Befehls ihn schon zur Gehorsamsverweigerung berechtigen wurde. Zu weit ginge es aber auch nach Pufendorf, wenn der Befehlsempfänger sich mit jedem rechtswidrigen Befehl identifizieren, wenn er nicht alles tun Dazu H. Welzel an dem in Anm. 10 angefiihrten Ort, S. 56: ,Das absolute Naturrecht gilt fiir alle Zeiten und fiir alle Menschen; das hypothetische zwar auch fiir alle Menschen, aber nur zu bestimmten Zeiten, in denen die realen Umständc es erfordern, so daB dadurch ein gewisses historisches Moment in das starre Naturrecht hineingelangt/ Vgl. hierzu auch H. Thieme, Die Zeit des spaten Naturrechts —s. o. Anm. 4 —S. 232 ff. unter Bezugnahme auf Pufendorf. 2» DJNGVIII,1,6.

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