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168 Ole Fencer Zusammenfassung Die Rechtsgeschichtliche Forschung in Dänemark Die Grundlagen einer wissenschaftlichen Bearbeitung der dänischen Rechtsentwicklung wurden schon im 18. Jahrhundert von Peder Kofod Ancher (1710—88) geschaffen, der in seinem Hauptwerk En dansk Lovhistorie (I—II, 1769—76) einige wichtige ältere Gesetze analysiert. Wenn auch Anchers Darstellung unsystematisch war, so wurden seine Ergebnisse auBerordentlich bedeutungsvoll, weil seine historische Methode von griindlicher Quellenkritik geprägt war, die damals, vor dem Durchbruch der historischen Schule in Deutschland, ungewöhnlich war. Diese Schule fand dann bald Anhänger auch unter dänischen Rechtshistorikern, und /. L. A. Kolderup-Rosenvinge (1792—1850) schrieb die erste systematische Darstellung der dänischen Rechtsgeschichte: Grundrids af den danske Lovhistorie (1822—23, deutsche Ubersetzung von Homeyer). KolderupRosenvinge und andere Rechtshistoriker der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bezogen kanonisches und deutsch-römisches Recht als wichtige EinfluBfaktoren in ihre Beschreibungen der Entwicklung des dänischen Rechts ein. Die nationale Konfrontation zwischen Dänischem und Deutschem, die zu den Schleswiger Kriegen 1845—50 und zum Krieg von 1864 fiihrte, liinterlieB tiefe Spuren in der dänischen Geschichtsschreibung, und besonders in der Rechtsgeschichte änderte sich die Einstellung zu fremden und vor allemzu deutschen Einfliissen. Die Rechtsverhältnisse der Grenzgebiete wurden eingehend untersucht, wie beispielsweise von C. L. E. Stemann, einem Schleswiger, in der Geschichte des öffentlichen und Privat-Rechts des Herzogthums Schleswig (I—III, 1866—67); die Gesamtschau der dänischen Rechtsgeschichte wurde aber von einer Tendenz zur Betonung der historischen und nationalen Besonderheiten geprägt wie beispielsweise bei Henning Matzen (1840—1910), der auch aus Schleswig stammte. Stemann und Matzen schrieben systematische Arbeiten iiber danische Rechtsgeschichte {Stemannx Den danske Retshistorie indtil Christian V’s Lov, 1871, Matzen'. Eorel<xsninger over den danske Retshistorie, I—II, 1893—97). Ein 1867 von dem Historiker Paludan-Mtiller formulierter Vorschlag, die möglichen Einwirkungen des römischen Rechts auf das nordische Recht zu untersuchen, blieb ohne Zustimmung, und als Ludvig Holberg (1847—1913) schlieBlich gegen Ende des Jahrhunderts den Versuch unternahm, diese nationale Forschungstradition zu brechen (z. B. in Dansk og fremmed Ret von 1891), stieB er auf Kritik. Zum Verständnis dieser Forschungssituation gehört es, daB sich dänische und andere skandinavische Rechtshistoriker von verschiedenen deutschen Kollegen wie Wilda, Brunner und von Amira in der Auffassung bestärkt fiihlten, daB das nordische Recht Ausdruck eines urspriinglichen und unverfälschten germanischen Rechts sei. Während aber diese deutschen Rechtshistoriker das älteste nordische Recht als weniger vomrömischen und kirchlichen beeinfluBt verstanden als die sudgermanischen Rechtsquellen, also von einer relativen Sicht der Dinge ausgingen, faBten jedenfalls die dänischen Rechtshistoriker die Besonderheiten als absolut auf. In diesem Jahrhundert sind viele ungluckliche Folgen der isoliert nationalen Forschung iiberwunden worden. Die dänische Rechtsgeschichte der Zeit bis zum zweiten Weltkrieg ist vor alien anderen von Poul Johannes Jorgensen (1873— 1947) geprägt. Er iibernahm 1907 Matzens rechtshistorischen Lehrstuhl an der

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