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Wenn Savigny nun Balug’janskijs Bemühungen um eine Reform und Professionalisierung der Jurisprudenz im Zarenreich als „Beruf“ bezeichnet, drückt er sich offenbar aus wie in seiner berühmten Programmschrift „Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“ von1814. „Beruf“ ist dort entsprechend einem verbreiteten konventionellen Sprachgebrauch „Berufung“. In diesem Sinne hatte Savigny die Berufung des Juristen darin gesehen, daß er das Recht auf der Höhe seiner Zeit imWege einer im einzelnen näher beschriebenen Rechtswissenschaft betreiben solle. In seinem Brief an Balug’janskij nimmt Savigny auf dieseVorstellung offenbar Bezug: Es ist ja gerade Rechtswissenschaft, die vermittelt werden soll.Wir dürfen davon ausgehen, daß der Bemerkung die Vorstellung von einem Entwicklungsmodell zugrundeliegt, und Wissenschaft dabei ein Instrument zurWeiterentwicklung des Rechts bilden soll. Mit derVorstellung vom Beruf verbindet sich für Savigny eine spezifische Ethik, die er im Frühjahr 1836, also eineinhalb Jahre nach unserem Brief an Balug’janskij, gegenüber seinem Sohn Leo entwickelt. Ausgehend von den verschiedensten Lebensaufgaben unterscheidet Savigny dabei eine äußere Seite, die Gewährleistung der Lebensbedingungen, von einer inneren oder „geistigen“ Seite des Berufs: Wie weitgehend dieser Standpunkt dem Geist der protestantischen Arbeitsethik verpflichtet ist, zeigt der weitere Verlauf des Briefes, in dem sich Savigny dazu bekennt, mart i n ave nar i u s 53 130 Brief „Zur Erinnerung für Leo an die Osterzeit 1836“, in: A. Raub-Domnick, Friedrich Carl von Savigny an seine Kinder Bettina und Leo. Zwei Dokumente aus den Jahren 1821 und 1836, in: Literaturwissenschaftliches Jahrbuch, N. F., Bd. 11 (1970), S. 121-187 (175). b) DieWahrnehmung von Balug’janskijs Aufgabe als „Beruf “ „Die geistige Seite des Berufs besteht in dem Beytrag, den jede Art der Beschäftigung zu dem Gesammtleben derVölker und Staaten, oder der gesammten Menschheit, liefert. Hierin dient jeder Beruf dem gemeinsamen Zwecke, den derWille Gottes für das Gesammtleben der Menschheit bestimmt hat, sehr häufig ohne daß die Einzelnen ein deutliches Bewußtseyn dieses allgemeinen Zweckes ihrer Thätigkeit erlangen.“130 „daß jeder Beruf in welchen uns Gott hat kommen lassen, sey er hoch oder niedrig und unscheinbar, eigentlich ein von Gott aufgetragenes Amt

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