RS 23

d i e k o d i f i k at i o n u n d d i e j u r i s t e n 165 dialektischen produktivenVerhältnis zurVergangenheit.Als diese historische Philosophie auf die Rechtswissenschaften angewandt wurde, war es naheliegend, die Kodifikation (wie Gesetzgebung im allgemeinen) als einen willkürlichen Eingriff in den organischen und selbstwachsenden Prozess, als solcher das Dasein in seiner Gesamtheit angesehen wurde, zu betrachten. Savigny verweist ständig auf dieses historische Element zurück und drückt eine stark relativisierte Sicht auf die menschliche Existenz aus. Ein gut entwickelter Sinn für das Momentane und Einzelne schützt gegen den Fehler, dass vorläufige mit dem bestehenden zu verwechseln.23 Savigny spricht sich abfällig inVom Beruf über den Entwicklungsoptimismus aus und den Anspruch, das vollendete Gesetzesbuch mit nachfolgender mechanischer Rechtsanwendung zu schaffen.24 Ausgehend von seiner organischen Geschichtsauffassung definiert er das allgemeine Rechtsbewusstsein als die einzig ursprüngliche und völlig authentische Rechtsquelle. Auf die gleicheWeise wie die menschliche Sprache, entsteht das Rechtsbewusstsein als ein gesammeltes Konzentrat aus den Gedanken, den Handlungsweisen, dem Gebrauch und der Sitten desVolkes.25 In einem primitiven Stadium in der Geschichte der 23 “Auch ist der geschichtliche Sinn der einzige Schutz gegen eine Art der Selbsttäuschung, die sich in einzelnen Menschen ... immer wiederholt, indem wir nämlich dasjenige, was uns eigen ist, für allgemein menschlich halten. ... Sobald wir uns nicht unsres individuellen Zusammenhangs mit dem großen Ganzen der Welt und ihrer Geschichte bewusst werden, müssen wir nothwendig unsre Gedanken in einem falschen Lichte von Allgemeinheit und Ursprünglichkeit erblicken. Dagegen schützt nur der geschichtliche Sinn, welchen gegen uns selbst zu lehren die schwerste Anwendung ist.”, F. C. von Savigny, Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (1814), omtryck av 1840 års tredje upplaga, Freiburg (1892), s. 70. 24 “Sinn und Gefühl für die Größe und Eigenthümlichkeit anderer Zeiten, so wie für die naturgemäße Entwicklung der Völker und Verfassungen ... war verloren: an die Stelle getreten war eine gränzenlose Erwartung von der gegenwärtigen Zeit, die man keineswegs zu etwas geringerem berufen glaubte, als zur wirklichen Darstellung einer absolutenVollkommenheit. ... Man verlangte neue Gesetzbücher, die durch ihreVollständigkeit der Rechtspflege eine mechanische Sicherheit gewähren sollten, indem der Richter ... bloß auf die buchstäbliche Anwendung beschränkt wäre ...”, s. 5. 25 “... dieser organische Zusammenhang des Rechts mit demWesen und Character des Volkes bewährt sich auch im Fortgang der Zeiten, und auch hierin ist es der Sprache zuVergleichen. So wie für diese, giebt es auch für das Recht keinen augenblick eines absoluten Stillstandes, es ist derselben Bewegung und Entwicklung unterworfen, wie

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