RS 23

Die Bedenkenlosigkeit des estnischen Reformgesetzgebers bei der Frage, ob man das Privatrecht überhaupt kodifizieren soll und eine Gesamtkodofikation im Bereich des Privatrechts die beste Gesetzgebungsalternative ist, könnte man ja leicht mit demVorbild Deutschland erklären.Wenn Deutschland dabei als pars pro toto für Europa und Europäisch gelten sollte, könnte man davon ausgehen, dass als ein Hauptmerkmal der europäischen Charakter des Privatrechts die Kodifiziertheit gelten soll. So allerdings aus estnischer bzw. baltischer Perspektive her. In demVorbildland Deutschland war es ja nun etwa ein Jahrhundert der Fall. Es sei hier dahingestellt, ob die hundert Jahre als ‘schon’ oder ‘erst’ erscheinen sollten. Immerhin hatte das deutsche BGB als eine schon altehrwürdige Privatrechtskodifikation sich gewährt und dies sogar unter grundverschiedenen politischen Regimen.19 Der BGB-Argument im Sinne der Vorzüge einer Gesamtkodifikation kam bei dem Kodifikationsbeschluss des estnischen Reformgesetzgebers vielleicht jedoch als nur ein verstärkendes Moment zu der eigenen privatrechtshistorischenTradition dazu. Die jüngste und für viele erlebte Zeitgeschichte des Sowjetrechts hat die aktiv tätigen Generationen des estnischen Juristentums mit dem kodifizierten Recht durchaus vertraut gemacht. Man findet da nicht nur das Zivilgesetzbuch, Ehe- und Familiengesetzbuch oder Arbeitsgesetzbuch, sondern auch etwaWaldgesetzbuch, Landgesetzbuch,Wohnraumgesetzbuch etc. Es war damit für die estnischen Juristen von Anfang der 1990-er eine wohlbekannte Situation in der Rechtsordnung, dass die grösseren oder auch kleineren Rechtsgebiete möglichst kodifiziert waren. Es handelt sich bei dem Kodifikationsgedanke in Estland aber keinesfalls nur um ein sowjetisches Überbleibsel. Man darf die historische Kontinuitätsthese zu der Rechtsordnung der Republik ma r j u l u t s 144 19 Die rechtshistorische Sichtweise bezeugt zwar, dass das Überleben nicht ganz reibungslos gelungen ist. Eine neue Perspektive auf dasWerdegang von BGB in wechselvollen politischen und sozialen Rahmenbedingungen bietet: J. Rückert, Das Bürgerliche Gesetzbuch – ein Gesetzbuch ohne Chance? – In: Juristenzeitung, Jg. 58 (2003), H. 15/16, S. 749 ff.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjYyNDk=