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Das europarecht 177 garantlcrcn, da(^ er wirklich zu einer Einsicht in das Wescn dcs Rechts gelangt ist? Der blol^e Vcrdacht, dal^ die Ambitionen des Naturrechts nicht seiner methodologischen Grundlage entspricht, ist natvirlich katastrophal fur eine Rechtsquelle, deren Autorität ausschlielslich auf ihrer Wissenschaftlichkeit begriindet ist. Heute wtirde wohl kaumjemand bereit sein, sich iiber das „Recht an sich“ auszusprechen. Ewige juristische Wahrheiten scheinen weder erwiinscht noch erreichbar zu sein. II Erwähnt werden mub, dab die Kritik der Naturrechtslehre eine verhältnismäbig kurze Geschichte hat. Erst der Historischen Rechtschule ist es auf demGebiet der Rechtswissenschaft gelungen, die erkenntnistheoretische Unmöglichkeit der Naturrechtslehre darzustellen. Die rechtswissenschaftliche Wirksamkeit kann sich nie - so Savigny - auf eine Rechtsordnung ohne zeitliche und räumliche Begrenzungen” beziehen. Das „Recht an sich“ ist unerkennbar. Der Historischen Schule bleibt damit nur die Aufgabe iibrig, das „positive, geltende Recht eines Volkes zu einer gewissen Zeit“'- zu erforschen. Diese Abwertung des Rechtsvvissenschaftsbegriffes - bzw. Umwertung des Positiven und Gegebenen'^ - bei der Historischen Schule war, und ist noch heute, wissenschaftlich korrekt. Andere - d.h. höhere - Anspriiche an die Rechtswissenschaftlichkeit wiirde ohne Zweifel die zerbrechliche Grundlage der jurist!- schen Doktrin uberfordern. Ftir das Streben, europäische Rechtseinheit durch die Rechtswissenschaft zu realisieren, ist diese Uberlegung trotzdem eine Katastrophe. Die Mehrheit der heutigen ins corrzw^iwe-Fursprecher wmrde wahrscheinlich nicht einmal versuchen, die Kritik der Historischen Rechtschule zu erwidern. Statt dessen scheinen die Versuche, das ins commune wiederzubeleben, eine andere Position zu verbergen. Das Stichwort ins commnne bezweckt eher ein Naturrecht ohne Natur als die Wiederbelebung der klassischen Naturrrechslehre. Eine geschichtliche Tradition— ein europäisches Artefakt — wird mit den erkenntnistheoretischen Eigenschaften eines metaphysischen Wesens versehen. Dadurch gerät aber der moderne Naturrechtler in dieselbe Klemme, in der die Vertreter des römischen und komparativen Rechts schon sitzen. Diese Hinweise auf eine gemeinsame europäische Rechtstradition können wiederum nicht zur Rechtseinheit beitragen, denn entweder ist dieses Erbe so vorherr- " Das hcifk cine, in jcdcr Hinsicht, unsichtbare Rechtsordnung. Siehe Stahl, Friedrich Julius, Die Philosophic Jes Rechts nach geschichtlicher Ansicht, Bd. II, Heidelberg 1833, S. 169. ' ’ Siehe vor allem Schroder, Jan, W'isscnschaftstheoric und Lchre der ‘praktischenjurisprudenz’ auf dcutschcn Universitciten an der W'ende zurn 19. Jahrhundert, Frankfurt-am-Main 1979, S. 164 f. '■* Siche Sandström, Marie, Rdttshistoriker - räddare i den europarattsliga »öt/ew?. Juridisk tidskrift, Jhrg. 94/95, Nr. 3, Stockholm 1994, S. 604: „... en naturrätt utan natur“.

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