RS 21

Marie Sandström 176 realistisch. Dadurch wiirde iibrigens kelne Rechtseinheit zu Stande kommen, denn das römische Recht ist zum grölken Teil kasusistisch und kann - nach einer l.OOO-jährigen Entwicklung - kaum als ein einziges Recht betrachtet werden. Die römischrechtlichen Rechtsquellen sind vielmehr ihrerseits Fragmente einer langen historischen Entwicklung.^ Aber auch nach dem Niedergang des römischen Reiches ist das römischrechtliche Erbe Gegenstand einer weiteren Bearbeitung und Entwicklung gewesen. In dubio kann sogar angenommen werden, daB eben diese Tradition gemeint ist, wenn man fiir das römische Recht als Europarecht eintritt. Die rechtswissenschaftliche Kreativität auf diesem Bereich geht also weit iiber ein Faible fiir die Justinianische Kodifikation hinaus. Die heutzutage iiblichen Hinweise zum ius commune-^c^r'di mtissen demgemäB nicht unbedingt ein Eintreten fur das römische Recht bedeuten. Statt desscn haben die Rechtswissenschaftler, und vor allem die Rechtshistoriker, eine beinahe unerschöpfliche Quelle gefunden in der Art und Weise, wie die römischen Fallrechtsregeln zu einem System juristischer Begriffe und Rechtsprinzipien entwickelt worden sind. Bis zumEnde des 18. Jahrhunderts machte das römische Recht die Basis einer Rechtsordnung aus, die vermeintlich Anwendung auf jeden Fall und uberall finden konnte. Die Aufgabe, dieses gemeinsame Recht zu systematisieren, wurde, im Gegensatz zumpositiven Recht des Gesetzgebers und Praktikers, den juristischen Fakultäten anvertraut. In dieser Flinsicht hat also die ins cowm/Dze-Tradition der Arbeit der Naturrechtslehrer mehr zu verdanken als den Römern. Die demonstrative Methode der Naturrechtslehrestellt ein Streben dar, auch die konkretesten Rechtsregeln „aus feststehenden ersten Prinzipien, die zu „wahren“, eines weiteren nicht mehr bediirftigen Satzen fuhren“'°, herzuleiten. Als Mittel der europäischen Rechtsvereinheitlichung scheint die naturrechtliche Methodik völlig unschlagbar. Den Selektionsgrund, welcher der heutigen Rechtsvergleichung fehlt, um ein einheitliches europaisches Privatrecht darstellen zu können, scheint also der Naturrechtslehrer zu besitzen. Neben dem geltenden, positiven Recht - oder aus erkenntnistheoretischer Sicht jenseits dessen - sucht der Naturrechtler nach dem Gegenstand der wissenschaftlichen Darstellung des Rechts, d.h. der Natur oder demWesen des Rechts. Folglich ist es nur der Naturrechtslehrer, der auf wissenschaftlichem Wege — und zwar auch gegen den Willen des nationalen Gesetzgebers - eine iibernationale Rechtsordnung herstellen kann. Aber die naturrechtlichen Anspruche auf Allgemeingiiltigkeit und Unveränderlichkeit bringen auch entsprechendc methodologische Schwicrigkciten mit sich. Wie kann der Rechtswissenschaftler iiberhaupt - besonders nach der Kant’schen Kritik des menschlichen Erkenntnisvermögens - wissenschaftlich Dazu kommt auch das Problem der Schichtbildung innerhalb des römischen Rechts, z.B. die Spannung und Weehselwirkung zwischen ius civile und ins honorarium. Going, Helmut, Europaisches Privatrecht. 1500 bis 1800, bd. I, Miinchen 1985, S. 18 f.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjYyNDk=