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JURISI'ISCHKR AE5SOI UTISMUSUNOPRIVATRKCHT IM 19. J AHRHUNDERT — da($ diese Kohorte, eine absolute Unsensibilität fiir das epistemologische Problem der Rechtswissenschaft zeigend, das Recht dem gröfiten Risiko ausgesetzt hat, und zwar die eigene Wissenschaftlichkeit in Zweifel gesetzt zu sehen, da der Jurist, als theoretischer Handlanger sich mit einer schweren Heteronomie kennzeichnete und sich mit dieser zufrieden gab; — daE diese Kohorte zumindest der Siinde intellektueller Faulheit schuldig ist und, dominiert von einer inaktiven Psychologie wie sie ist, eine zu elementare und vereinfachende, d. h. eine grundsätzlich aproblematische Sichtweise des juristischen Universums angeboten hat, sich in dieser Weise von jeder Empfänglichkeit fiir Bewegung und Veränderung ausschliefiend. Fin iiberzeugendes Beispiel: fiir denJuristen ist ein zentrales und fundamentales Problem, das seiner wissenschaftlichen Argumentation Leben gibt und ihn auf epistemologischer Ebene qualifiziert, jenes der Quellen, während man von Seiten des Exegeten iiber Quellen nichts zu hören bekommt, da es fiir ihn nichts mehr iiber sie zu sagen gibt, glaubt er doch das Quellenproblem schon an höherer Stelle vollständig gelöst. Trotzdemist es gerade dieses Problem, das Savigny grob machte, das die deutsche Neudurchsicht von Georg Beseler und Otto von Gierke grol? macht, in einem Deutschland, das das Privileg genieBt, ein noch offenes experimentelles Laboratorium zu sein; es ist gerade dieses Problem, das Ende des Jahrhunderts auch Francois Geny, Professor fiir Zivilrecht auf französischemBoden, groB macht, der jeden Tag den napoleonischen „Code“ auf seinem Katheder aufgeschlagen liegen hat. Das Lebendigste dieses komplexen 19. Jahrhunderts ist die grenzenlose Diskussion iiber Quellen: es öffnet sich mit der scharfen und lebendigen Argumentation der Polemik zwischen Thibaut und Savigny zum Thema der Kodifikation, es schlieBt mit der nachdenklichen und lebhaften Reflektion iiber die Quellen in „Méthode d’interpretation et sources en droit prive positif“, erschienen in erster Ausgabe gerade imJahre 1899.'* Sicher war der juristische Absolutismus siegreich in der Psyche der Juristen auch wegen des feinen Einflusses, der zum Rhythmus der Marseilleise tief in das Bewul^tsein gedrungen war; sicher wurde die Mythologie der Gesetze nur allzu oft — in der Seele des Juristen - zu unkritischer Gesetzesanbeterei, und nicht zu Unrecht identifiziert sich die Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts gegeniiber einem oberflächlichen Beobachter geistig mit einem exegetischen Verhalten, aber der Faden des aktiven und kritischen Bewufitseins, das die Kodifikation begraben hatte, ist nicht einmal auf dem Gebiet der siegreichen Gesetzbiicher zerrissen, und er tauchte wieder auf, sobald groBe soziale, ökonomische und technologische Veranderungen, sich mit reiferen kulturellen und methodologischen Errungenschaften vereinigend, die Landschaft des europäischen Kontinents tiefgreifend beeinflufiten, was in den letzten zwei Jahrzehnten des Jahrhunderts geschah. ■* Paris, Chevalier-Marescq, 1899. 41

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