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44 Fällen erschienen die Richter als die allein Legitimierten, umdiese Rechtsordnung in Unabhängigkeit zu verwalten. Die rechtliche Absicherung dieser Unabhängigkeit erfolgte in England schon am Ende des 18. Jahrhunderts, in Frankreich dagegen erst nach der Revolution. Auch wenn heute mit Sicherheit zu sagen ist, dafi Montesquieu in seinem 1748 erschienenen bahnbrechenden Werk „De 1’ ésprit des lois“ die Richter keineswegs nur zumMund erklärt hat, der lediglich die Worte des Gesetzgebers ausspricht, willenlose Wesen, die weder seine Schärfe noch seine Strenge zu mildern vermögen,*^® so ist doch unabweisbar ein Zusammenhang herzustellen zwischen der Unabhängigkeit der Richter und ihrer Bindung an die Normen. Justizreform mufite daher zwingend einhergehen mit Rechtsreformen, durch die das Verfahrensrecht und das materielle Recht als Grundlage richterlicher Entscheidungen rationaler und durchschaubarer gemacht werden mufiten. In Frankreich gelang diese Rechtsreformerst unter Napoléon zu Anfang des 19. Jahrhunderts. In England dagegen wurde das Common Lawin diesemSinne schon im18. Jahrhundert ausgebaut und systematisiert. Gleichwohl kommt dann von dort durch Jeremy Bentham, einem Ausläufer der Spätaufklärung, wie Wieacker ihn genannt hat,^^^ der Ruf nach einem „Complete Code of Law“ (1802).*^° In Deutschland blieb der Absolutismus auf der Reichsebene aus, fehlten also auch absolutist!- sche Eingriffe in die Arbeit der Reichsgerichte. Die Unabsetzbarkeit der Richter setzte sich faktisch — und gegeniiber den Reichshofräten 1764 auch rechtlich — durch, ohne dafi absolutistische Willkiir dafiir Anla£ bot. Die gesetzliche Rechtsreform und Normsetzung war nicht mehr Aufgabe des Reiches sondern fast ausschlieftlich Sache der Einzelstaaten geworden, wo sich im 18. Jahrhundert auch die Kodifikationsidee in Bayern, Preussen und Österreich als Teil einer grol^en Rechtsreform zuerst betätigte.'^* Da die Gerichtsbarkeit weitgehend von den Einzelländern aufgebaut worden war und ausgeiibt wurde, findet in Deutschland auch auf dieser Ebene die Auseinandersetzung statt, die man in England und Frankreich auf der Ebene des Gesamtstaates beobachten kann. Dabei hinderte die besondere Ausformung des Absolutismus als „aufgeklärter Absolutismus“ die Monarchen keineswegs an gravierenden Eingriffen in dieJustiz. Symptomatisch dafiir ist die beriihmte Muller-Arnold-Affäre 1779 in Preussen.*^^ Friedrich der Grofie, der Prototyp eines aufgeklärt absoluten Monarchen meinte, seinen Richtern mifitrauen zu miissen und griff in einen Zivilprozef$ ein. Als die Richter des brandenburgischen Kammergerichts in Berlin seine Regina Ogorek, De I’Esprit des légendes oder wie gewissermafien aus dem Nichts eine Interpretationslehre wurde. Rechtshist. Journal 2, 1983, s. 280 ff. Wieacker (Anm. 80) S. 449. Wieacker (Anm. 80) S. 279 Anm. 109. Zu den einschlägigen Kodifikationen: Wieacker (Anm. 80) S. 322 ff. Hiille, Stichwort: „Muller Arnold Prozefi", HRG. Ill, 1984, Sp. 726 f. 160

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