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45 Beziehungen gezwungen, eine objektive Betrachtung zu machen; es ändern sich die Agrarlandschaften, wechseln die sozialen Ordnungen, aber manchmal bleibt die gleiche Mentalität bestehen, oft geht sie auch iiber die dem bloBen Auge natiirlich erscheinenden Grenze seines Aktionsfeldes hinaus. Wenn man unter juristischer Erfahrung, den Philosophen folgend,^^ in einer harmonischen und homogenen Welt das Recht zu fiihlen, zu konzipieren und zu leben versteht, könnte man mit Sicherheit das Eigentumals Spiegel der Erfahrung, als naturgemäB umgeben in der Nische in entsprechend derselben formiert denken. Aber wer in dieser iiberaus verniinftigen Weise denkt, wird der in der Mentalität versteckten Realität nicht gerecht, in der Vernunft und Unvernunft, Wissen und Unwissenheit sich vermischen. Die paradoxe und auf den ersten Blick verwirrende Idee einer unbcweglichen Geschichte, wie wir mit Uberzeugung und Konsequenz innerhalb der neuesten und vorausschauenden Geschichtsschreibung ausgesprochen und unterstiitzt finden, verwundert den Rechtshistoriker nicht. Und dies nicht so sehr, wie einer der allzuleichten Verleumder, ciie sich unter den Nicht-Juristen einnisten, sagen wiirde, weil der Geschichtler-Jurist sklerotische Formen und verhärtete Amtlichkeit rekonstruiert, als vielmehr, weil er taglich mit der Mentalität rechnen mul?, weil das Recht physiologisch eine imsozialen Bewuf^tsein fundierte Mentalität ist. Der Allgemein- und Sozialgeschichtler sollte nicht die Gelegenheit einer realistischen Reflektion verpassen: daB imjuristischen Universumdie Formen oft nur die herausragenden Punkte eines gigantischen unterirdischen Gebäudes sind, welches auf Werte gebaut ist, von denen es in erster Linie verlangt, Recht zu sein, eine beachtete und befolgte Regel, weil sie cfen lebendigsten Bediirfnissen eines Branches, eines religiösen Glaubens, einer sozialen Sicherheit angepaBt ist. Nur all das kann die beachtliche Verspätung einer juristischen Konstruktion des Eigentums erklären, fiir die man das 19. Jhdt. erwarten muBte und, noch in diesemreifen Zeitabschnitt der modernen Zeit, trägt sie Zweideutigkeiten, Widerspriiche und Unsicherheiten mit sich. Die Werte sind natiirlich geschichthch variabel, aber ihre Variation ist langsam, miihsam und nicht schmerzlos, und ihr Produkt - eine bestimmte juristische Erfindung der Zugehörigkeit, in unserem Falle das mittelalterliche Eigentumsschema - fährt quasi iiber sein natiirliches Alter hinaus fort zu leben, sich in die Strukturen zu schlängeln und sogar deren Zukunft zu beeinflussen, aber in erster Linie sich imBewul^sein einzunisten.^^ " Fur den cventuellen Nicht-Juristen unter den Lesern präzisieren wir, dak wir uns auf Giuseppe Capograssi beziehen, einem der Protagonisten der juristischen Philosophic Italiens des 19. jhdts Sichc auch Anmerkung 3. ’’ ,L’histoirc‘ immobile ist der Titel der Eröffnungsvorlesung von Emmanuel Le Roy Ladurie, gehalten am 30. November 1973 am College de France. Lc Roy Ladurie bezieht den Ausdruck auf einen anderen Kontext, andere Unbeweglichkeiten aufnehmend. Die methodische Instanz und die Revision alter Allgemeinplätze ist jedoch gleich.

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