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164 Stammesgesellschaften ganz verschiedenartige Rechts- und Sozialverhältnisse mit diesem Begriffspaar zu erfassen. Aus einer derartigen Sicht erscheint beispielsweise die Gefolgschaft herrschaftlich, aber auch genossenschaftlich strukturiert.'^"* Ahnlich sollen Hausgemeinschaft und Familienverfassung auf Herrschaft beruhen, jedoch eines genossenschaftlichen Elementes nicht entbehren; die Ehe gilt entsprechend als Herrschaftsverhältnis, die Ehefrau gleichwohl als Genossin des Mannes usw. Diese Zergliederung von Rechtsverhältnissen wirkt jedoch weithin artifiziell und schematisch. Die verwandte Begrifflichkeit bleibt iiberdies unscharf; Bezogen auf die rechtlich-soziale Gesamtstruktur germanischer Stammesverbände meidet der Begriff der Herrschaft nur zum Teil die Mifideutungen, die sich an den friiher verbreiteten Begriff des kniipften. Denn auch er setzt noch eine Bipolarität von Innehabung der politischen Gewalt und Gewaltunterworfenheit voraus, die uns aus moderner Staatlichkeit und neuerem Staatsrecht vertraut ist, sich aber nicht ohne weiteres auf die Machtverteilung und -ausiibung in einer Stammesgesellschaft vibertragen läEt.'°* Dementsprechend bleibt auch der Genossenschaftsbegriff fiir die Verhältnisse dieser Gesellschaft problematisch, soweit er konkret-historisch als Gegenbegriff zu Herrschaft verstanden wird. Nicht weniger mil^verständlich ware es aber, ihn isoliert vomHerrschaftsbegriff, gewissermafien als eine abgeschwächte Variante der ansonsten inzwischen aufgegebenen naturrechtlichen Projektion des Gleichheitsgedankens, auf die Stammesgesellschaft des germanischen Altertums zu beziehen. Gegeniiber dem Assoziationsspektrum, das den modernen Herrschaftsbegriff und den modernen Gleichheitsgedanken umgibt (und das von letzterem leicht in den Genossenschaftsbegriff hineinwirken kann), bietet die ethnosoziologische Konzeption der ,,Rang-Gesellschaften” den Vorzug, dal? sie die Verschiedenheit der sozialen Range gerade als spezifisches Grundmuster der Verfassung und Sozialanschauung in den betrachteten Gesellschaften anerkennt. Sie kommt insofern ebenso ohne naturrechtliches Egalitäts-Axiomwie ohne Projektion des modernen abstrakt-allgemeinen Herrschaftsbegriffes in « 107 „germanischen Staates H. Kuhn, Die Grenzen der germanischen Getolgschaft, ZRGGerm. Abt. 73 (1956), S. 1 ft. Vgl. D. Schwab, Art. Familie, in: HRG I, Sp. 1067 ff. (1068). S. Rietschel, Art. Ehe, in: Hoops 1, S. 499 ff. (§§ 2, 6). So noch H. Conrad, Deutsche Rechtsgeschichte I, 2. Aufl. 1969, S. 12, 15 u.ö.; mafigebend fur die heute vorherrschende Substitution des Staatsbegriffs durch den Herrschaftsbegriff in der Mittelalter-Forschung - auch unter dem Einflufi des (freilich unzulänglich rezipierten) Herrschaftsbegriffs Max Webers - vor allem O. Brunner, Land und Herrschaft, 1939. Zur Problematik s. auch Anm. 26; jiingst dazu Wesel, Friihformen (Anm. 1), S. 22 ff. m.w.N. - In diesemSinne ware Genossenschaft als Gegenbegriff zu Herrschaft amehesten noch in der Gegeniiberstellung germanischer Verhältnisse zu spateren Verfassungszustanden zu verwenden - mit gröfierem Erklärungswert freilich fiir die spätere als fiir die friihe Zeit (fiir die det isoliert gebrauchte Genossenschaftsbegriff wenig fiber die ungleiche Machtverteilung als soziale Handlungsbedingung und -motivation sagt). 1C5 106 108

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