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162 verbunden ist mit einer Ungleichheit der Beteiligten sowie mit Elementen des Zwanges und der Abhängigkeit.^^ Diese differenzierte Ausprägung läBt ihn auch fiir das germanische Recht als einen Ansatz in Betracht ziehen, umfiir verschiedene Lebensbereiche die Formen wechselseitiger Bindung zu beschreiben. Auf dem eingangs genannten Forschungsfeld beispielsweise gehört dazu das Verhältnis der beteiligten Verwandtschaftsgruppen bei der sogenannten Sippenvertrags-Ehe und in diesem Rahmen auch das Verhältnis der Ehegatten selbst. Der Begriff der Reziprozität beschreibt in derartigen Fallen das Bestehen (durchaus äufierst ungleicher) Rechte oder Pflichten in ihrer Wechselseitigkeit. Er reduziert damit einerseits die persönlichen Abhängigkeiten bei Statusverschiedenheit nicht auf lediglich „einseitige”, etwa gar der modernen Sachherrschaft vergleichbare Gewaltverhältnisse (wie dies in der Tat ein Teil der älteren Lehre fiir das germanische Ehegattenverhältnis annahm). Vielmehr trägt er dem Umstand Rechnung, dafi trotz der stark ausgeprägten Ungleichheit imRahmen der patriarchalischen Familienstruktur die Rechtsstellung der Frau dem Ehemann Riicksichten auferlegte und seiner Gewalt Schranken setzte, mithin das Ehegattenverhältnis ungleiche Bindungen, aber keineswegs eine sachenrechtsartige Gewaltunterworfenheit beinhaltete.‘°° Andererseits vermeidet es der Begriff der Reziprozität, auf das Vertragsmodell zu rekurrieren, wenn es nach germanischer Rechtsanschauung auf einen Willen zur Selbstbindung gar nicht ankommt oder die immodernen Recht vorausgesetzte rechtliche Gleichordnung völlig fehlt. So wäre die mit demmodernen Vertragsdenken verbundene Vorstellung der Selbstbindung nicht nur in dem soeben angefiihrten Beispielsbereich wohl regelmäf^ig bei der Muntehe auf seiten der Frau unangebracht, sondern dariiber hinaus auch bei den vielfältigen Rechtsverhältnissen, in die die Beteiligten „hineingeboren” werden. Zudem erscheint die Verwendung des Vertragsbegriffes fiir zahlreiche Fälle wechselseitiger Bindung imgermanischen und älteren deutschen Recht vomBodenerwerb bis zum Lehnsnexus aus einem weiteren Grund nicht unproblematisch: Aus unserem Rechtsdenken wird er heraus leicht mit den neuzeitlichen Willens- und Konsenslehren befrachtet, während im älteren Recht — wie bereits angesprochen - Symbol und Ritual in viel stärkerem Mafie Ausgangspunkte der Vorstellungen iiber die Bindung gegeniiber einem anderen sind und daher die ,,Form” sich nicht nur als eine solche immodernen Verständnis (und etwa ” In ganz verschiedenartiger Gestalt und weithin abweichend von heutigen Formen der Machtausiibung und -unterworfenheit; vgl. etwa das Beispiel eines Leistungsverhältnisses zur Abwendung von Zauberei bei E. Cohort, Tradition and Contract - The Problem of Order, 1974, S. 47 ff. sowie dazu Wesel, Friihformen (Anm. 1), S. 323. Dies zeigt sich besonders, wenn der eheherrlichen Gewalt bei zu weitgehenden Eingriffen in die Stellung der Frau die Anerkennung versagt wurde (Fehde seitens der Frauenverwandten bei unbegriindeter körperlicher Miilhandlung der Ehefrau; Verkauf allenfalls bei „echter Not”); vgl. - m.N. der ält. Lehre Art. Eherecht, in; Hoops R. Schulze, (Anm. 29). 100

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