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30 Horst Denzer der analogia entis durch die Erkenntnis aus der autonomen Vernunft mittels des radikalen cartesianischen Zweifels ersetzt. Der Ausgangspunkt ist nicht mehr wie bei Melanchthon das letzte Ziel und hochste Gut des menschlichen Lebens, sondern die sichere Erkenntnis aus letzten unzweifelhaften Prinzipien. Das Naturrecht hat die Argumentation mit den Autoritäten durch die Rationalitat menschlicher Vernunft ersetzt. Es hat gegeniiber der Riicksichtnahme auf theologische Dogmen die radikale Weltimmanenz seines Wissens erstritten. Das Naturrecht hat gegen die scholastische Methode des syllogistlschen Argumentierens mit Autoritäten die geometrische Methode gesetzt, die die zusammengesetzten Phänomene der moralischen Welt in ihre letzten Prinzipien und Teile zerlegt und daraus die notwendigen Beziehungen menschlichen Handelns deduziert. Es ist kein Wunder, daB das Naturrecht vom herkömmlichen autoritätsorientierten Unterrichtssystem als Fremdkörper und als Bedrohung angesehen wurde, nicht nur von der Moraltheologie der lutherischen Orthodoxie, sondern auch von der traditionellen Universitätsjurisprudenz und der streng aristotelischen Moralphilosophie. Wie im 16. Jh. den Ramismus und im 17. Jh. die cartesianische Philosophie so lehnten die deutschen Universitaten auch das Naturrecht als Störung der Einheit der Lehre imphilosophischen Unterricht ab. Nicht von ungefähr ist Pufendorf als Protege der furstlichen Höfe gegen den Widerstand der Universitäten zu seiner akademischen Laufbahn gekommen und es liegt durchaus in der Konsequenz seiner Biographie, daB er als Historiograph beim schwedischen und brandenburgischen Hof seine Karriere beendete. Die Höfe waren in dieser Beziehung progressiver. Sie erkannten, wie viel stärker als das an antiken Autoren orlentierte Lehrgebäude der Universitäten das Naturrecht slch den Realien der Politik geöffnet hatte; war doch die Einordnung der ausdifferenzierten politischen Welt unter verniinftigen Prinzipien ein entscheidendes Motiv fiir das Entstehen des Naturrechts. Nicht umsonst unterzieht es seine allgemeinen Prinzipien der empirischen Uberpriifung anhand einer Fiille historischen Materials aus Geschichtsschreibung und Reiseberichten aus aller Welt. Die furstlichen Höfe erkannten den Nutzen des Naturrechts fiir die Leitung des Staates und fiir die Legitimation der Herrschaft in ihren Territorien. Auf Pufendorfs Grabplatte-® in Berlin stehen die Worte: „Fama per totum orbem volitat“. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daB die Universitäten diesen Vogel des Pufendorfschen Weltruhms mehr als Aasgeier ansahen, der sich auf den in Traditionen erstarrten Körper der Universitätslehre stiirzen will und weniger als Phönix, der aus der Asche des alten Lehrsystems neues Leben weckt. Pufendorfs Grabplatte stand in der Nikolai-Kirche, nach deren Zerstörung war sie verschollen. Sie wurde von Prof. Horst Schroder (Berlin-Ost) wieder aufgefunden. Ein neuer Ståndort ist fur die Grabplatte noch nicht festgelegt. 29

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