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25 Diese Vernunftscharakteristik hatte, in direktem Widerspruch zu ihrer urspriinglichen Zwecksetzung, eine Zweiteilung der Erkenntnis verursacht, die die notwendige Einheit der Wissenschaft bedrohte. Der Durchbruch fiir den Argumentationsgrund der freien Wissenschaft - die Erfordernisse der Wissenschaft — die die „kopernikanische“ Wende der Metaphysik mit sich gefuhrt hatte, machte die Frage der prinzipiellen Unteilbarkeit des grofien Systems der Wissenschaft zentral. Da, wie Schelling es ausdriickte: „alles Wissen nur Eines ist“,^° war es notwendig, dafi die Vernunft einen Ståndpunkt konstruieren konnte, durch den die ständigen Streitigkeiten, die diese notwendige Einheit gefährdeten, beigelegt wurden. Der einzige Vernunftsstandpunkt, der diese Anforderung erfullte, war, nach Schellings Auffassung, der absolute.^' Die absolute Vernunftsbestimmung bildete die oberste Voraussetzung fiir alles Wissenund damit eine durchgehende Einheit auf allen Stufen der Erkenntnis: „Es ist die Idee des an sich selbst unbedingten Wissens, welches schlechthin nur Eines und in dem auch alles Wissen nur Eines ist, desjenigen Urwissens, welches, nur auf verschiedenen Stufen der erscheinenden idealen Welt sich in Zweige zerspaltend, in den ganzen unermefilichen Baumder Erkenntnifi sich ausbreitet. Durch die Konstruktion des absoluten Vernunftsstandpunktes sollte die transzendentalphilosophische Forderung an das Selbstverständnis der Vernunft erfiillt werden: der äuf^erste Grund der Erkenntnis — das Absolute - ermöglichte es, das Wissen als eine an sich unbedingte Einheit zu betrachten. In dem Mafte, in dem die Bestimmung der Erkenntnis als getrennt von demSein der Objektswelt aufgefafit werden konnte, hatte die menschliche Vernunft eine solche Position erreicht, dafi sie Kants Zielsetzung mit „der That der kopernikanischen Wende“ verwirklichte; das Absolute bildete somit die theoretische Voraussetzung fur die Selbständigkeit der Wissenschaft: Ausgangspunkt von Kant und Fichte fand einen bemerkenswerten Ausdruck in einer Aulierung, die Kant „in Beziehung auf Fichtes Wissenschaftslehre" machte: „Hierbei mul? ich noch bemerken, dal? die Anmassung, mir die Absicht unterzuschieben: ich habe blol5 eine Propädeutik zur Transzendental-Philosophie, nicht das System dieser Philosophie selbst, liefern wollen, mir unbegreiflich ist. Es hat mir eine solche Absicht nie in Gedanken kommen konnen, da ich selbst das vollendete Ganze der reinen Philosophie in der Krit. der r. V. fiir das beste Merkmal der Wahrheit derselben gepriesen habe“. Schelling, Friedrich WilhelmJoseph von, Vorlcsungen iiber die Methode des akadetnischert Studiums, S. 267. AaO. S. 218. Siehe vor allem aaO., Erste Vorlesung: Uber den absoluten Begriff der Wissenschaft, S. 211222, insbes. S. 216. AaO. S. 216: „Aber eben diese erste Voraussetzung aller Wissenschaften, jene wesentliche F'inheit des unbedingt Idealen und des unbedingt Realen ist nur dadurch möglich, dal? dasselbe, welches das eine ist, auch das andere ist. Dieses aber ist die Idee des Absoluten, welche die ist: dal? die Idee in Ansehung seiner auch das Seyn ist. So dal? das Absolute auch jene oberste Voraussetzung des Wissens und das erste Wissen selbst ist“. “ 63

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