RB 44

23 der Morgendämmerung der Wissenschaft „geschIossen und vollendet“,-^^ und ein Zuwachs an Erkenntnismasse in einem Each setzte deswegen ein Uberschreiten von dessen Grenzen, hinein in die Domänen anderer Disziplinen, voraus. Dagegen erscheint es mehr ungereimt, dafi es der Metaphysik, nach Kants Meinung, an Entwicklungspotential fehlen sollte, und daE damit die freie Wissenschaft zu einer leeren, starren und toten Argumentationsformreduziert wiirde, allein geeignet, den Status der Metaphysik zu erhöhen; „Dafur aber hat auch die Metaphysik das seltene Gliick, welches keiner anderen Vernunftswissenschaft, die es mit Objecten zu thun hat (. . .) zu Theil werden kann, dass, wenn sie durch diese Kritik in den sicheren Gang einer Wissenschaft gebracht worden, sie das ganze Feld der fiir sie gehörigen Erkenntnisse völlig befassen und also ihr Werk vollenden und fiir die Nachwelt als einen nie zu vermehrenden Hauptstuhl zum Gebrauche niederlegen kann, weil sie es bloss mit Principien und den Einschränkungen ihres Gebrauchs zu thun hat, welche durch jene selbst bestimmt werden. “ 56 Die Ursache zur Spaltung des grofien Systems der Wissenschaft in zumindest scheinbar freie philosophische Wissenschaften und die, vor dem Einflufi von äufieren Zwecken und Interessen ungeschiitzten historischen Erkenntnisarten, lag in der einseitigen und formellen Bestimmung der Relation zwischen der Vernunft und deren Objekt in der Erkenntnis. Die Probleme, die die freie Wissenschaftlichkeit des reflexionsphilosophischen Standpunktes verursachte, kamen am klarsten in der Relation der Metaphysik zu den objektsbezogenen Wissenschaften zum Ausdruck; eine Relation, die eine von jeder praktischen Tätigkeit isolierte und ein fiir allemal gegebene wissenschaftliche Systematik voraussetzte: „Zu dieser Vollständigkeit ist sie daher als Grundwissenschaft auch verbunden, ” AaO. S. 15. Aao. S. 26. Hinsichtlich Kants „Unfähigkeit“, das unteilbare Ganze - „das grofie System der Wissenschaft" — aufzufassen, siehe Ritschl, Otto, „System“ und systematische Methode in der Geschichte des wissenschaftlichen Sprachgehrauchs und der philosophischen Terminologie, Sp. 70-71: „so ist er auch noch nicht dazu iibergegangen, alle Wissenschaften in einem einheitlichen, sie sämtlich zusammenfassenden System zu vereinigen. Haben doch Wissenschaften und Kenntnisse je ihren besonderen Mafistab. ,Mathematik hat ihren in sich selbst, Geschichte und Theologie in weltlichen oder heiligen Biichern, Naturwissenschaft und Arzneikunst in Mathematik und Erfahrung, Rechtsgelehrsamkeit in Gesetzbiichern, und sogar Sachen des Geschmacks in Mustern der Alten' [aus Prolegomena], Andererseits zog es doch auch schon Kant einmal in Erwägung, dafi es bei dem bereits erreichten Stande des Wissens ,nicht allein möglich, sondern nicht einmal so gar schwer sein wiirde', alle Systeme ,unter einander in einem Systemmenschlicher Erkenntnis wiederum als Glieder eines Ganzen' zweckmäfiig zu vereinigen und so ,eine Architektonik alles menschlichen Wissens' herzustellen. Doch will er selbst sich dieser Aufgabe nicht annehmen, sondern nur eine Architektonik aller Erkenntnis aus reiner Vernunft entwerfen". Tatsächlich macht der kantianische Vernunftsstandpunkt eine solche Systematisierung unmöglich, denn dies wiirde bedeuten, auf eine unerlaubte Weise die reinen Vernunftserkenntisse mit Erkenntnissen, entsprungen aus anderen Quellen und mit anderem erkenntnistheoretischemWert, zu vermischen.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjYyNDk=