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14 Dies stellte den Kern fiir die Befreiung der Vernunft von dem Zwang der Objektwelt und den Grund fiir deren freie Reflexion dar. Innerhalb des von der Vernunft begrenzten und beherrschten Bereiches konnte die Wahl der Begrenzung und der Struktur allein durch die Ubereinstimmung mit einem bestimmten Zweck, nämlich der philosophischen Bestimmung der Vernunft, motiviert werden. Es gab damit nur einen Grund fiir die Erkenntnis, wie es auch nur eine allgemeine Vernunft gab, die die Einheit der Erkenntnis aufrechtzuerhalten vermochte. Nur dieser Zweck konnte als ein „innerer“ und relevanter Argumentationsgrund innerhalb der Wissenschaft begriffen werden; die iibrigen Ziele und Interessen muBten folglich allein „äuBere“ sein. Diese Auswahl eines einzigen relevanten Grundes fiir die wissenschaftliche Tätigkeit reflektierte das Streben der transzendentalphilosophischen Vernunft nach Hegemonie im Erkenntnisbereich: Freiheit in philosophischer Notwendigkeit. Nur dadurch sollte, gemäB Kant, es der Wissenschaft gelingen, ihre notwendige Einheit beizubehalten und den sicheren Weg der Wissenschaft einzuschlagen. Die kopernikanische Wende in der Metaphysik hatte weitgehende Konsequenzen fiir die Anwendung von Struktur- und Abgrenzungsbegriffen in der wissenschaftlichen Argumentation. Da der Grund fiir die Notwendigkeit der Erkenntnis in die Gegenstande gelegt wurde, wurde die eigene Kraft der Vernunft allein von aposteriorischer Unzulänglichkeit geprägt. Durch Kants Vernunftskritik muBte die hierdurch befreite Vernunft die objektgestiitzte Systematik als ausschlieBlich vermeintliches wissenschaftliches „Einzelwissen“ ohne inneren Zusammenhang auffassen.^* Nur die freie Vernunft vermochte die Notwendigkeit der Erkenntnis in ihrer eigenen, inneren Systematik zu griinden, und durch diese objektive Bestimmung der Natur der Wissenschaft eine philosophisch notwendige Abgrenzung von dem Bereich der wissenschaftlichen Argumentation zu garantieren. Ritschls Definition von der Freiheit der Wissenschaft: „frei ist die Wissenschaft, wenn sie wirklich nur sie selbst ist“, ist offenbar unvereinbar mit einem wesensmetaphysisch geprägten Vernunftsstandpunkt. Denn, wie Ritschl es formuliert hat: „Die Frage nach der Freiheit der Wissenschaft fiihrt zuriick auf die andere nach ihrem eigenthiimlichen Wesen“. Mit der wesensmetaphysischen Annahme als Ausgangspunkt wurde die Vernunft zu einemblolsen Mittel reduziert. Damit fehlte es an der theoretischen Voraussetzung fiir die Entstehung der freien Wissenschaft, nämlich einem selbstandigen, objektiven Grund fiir die Erkenntnis an sich. ” Zum Wissenschafts- und Systembegriff Christian Wolffs siehe Schroder, J., aaO. S. 86: „Wenn Wolff von Wissenschaft im objektiven Sinne spricht, so - auch hier in Ubereinstimmung mit dem allgemeinen Sprachgebrauch seiner Zeit - nur pluralisch („Wissenschaften'‘). Dahinter steht wiederum die Vorstellung, dal? es keine von dem Erkenntnisgegenstand unterschiedene objektive Einheit „Wissenschaft“ gibt, sondern nur eine Summe des auf die Gegenstände selbst bezogenen Einzelwissens".

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