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140 Innerhalb der systematischen Einheit mufite Gleichgewicht und Harmonic herrschen, dies geht klar aus dem obigen Zitat hervor. Wenn diese Balance von den einzelnen Teilen, die nicht in Zusammenhang mit der Ganzheit stehen, gestört wird, so verursacht diese stoffliche Einseitigkeit, dafi die Vernunft nicht die besondere innere Einheit herzustellen vermag, und sich zufriedengeben mufi, ,,unwahre“ Aggregate nach äuBeren Zielen zu produzieren. Wenn, auf der anderen Seite, das Ganze die Selbständigkeit der Teile unterdriickt, so fiihrt dies zu einer geschwächten Ganzheit — zu einem Zustand, der wahrlich „krankhaft und unnatiirlich" ist. Eine wissenschaftliche Tätigkeit, deren Repräsentant es gelungen war, ein solches organisches Gleichgewicht zu erreichen, lebt und bliiht. Der wahre Bildungswert des römischen Rechts, die Art, mit der dieses als Richtmarke fiir die moderne deutsche Rechtswissenschaft dienen kann, war, nach Savigny, gerade die Fähigkeit der römischen Juristen, unbehindert zwischen dem Allgemeinen und dem Besonderen zu pendeln/^ Dadurch hatten sie sowohl Einigkeit iiber die allgemeine Aufgabe der Wissenschaft erreicht als die lebende Einheit der Wissenschaft - das Besondere - ins Zentrum der Betrachtungen gesetzt. Das Besondere war nämlich der natiirliche Zentralpunkt der Wissenschaft/^ In der Anwendung des Ausdrucks ,,naturlich“ und „unnaturlich“, wie beispielsweise im obigen Zitat, gab Savigny seiner Kritik gegen eine einseitige Ganzheitsauffassung,^^ die die selbständige Bestimmung des Besonderen — die Natur der Sache^° - verletzt, Ausdruck. Diese einseitige Vernichtung aller indiSiehe aaO. S. 17 ff. Durch die „Meisterschaft in der Methode", die in „der Leichtigkeit, womit sie von allgemeinen zumbesondern und vombesondern zumallgemeinen ubergehen“ unverkennbar ist - erschien der rechtliche Stoff als wissenschaftlich durchleuchtet, transparent und „durch wissenschaftliche Behandlung geadelt". Siehe z.B. aaO S. 18 f. Vgl. Wilhelm, aaO. S. 66, betreffend das Besondere als das lebendige und bildende Element der Wissenschaft. Siehe weiterhin Neusufi, aaO. S. 112. Das durch die kopernikanische Wende entgiiltig verdrängte, reale Element des Wissens - kurz, das Objekt. Die Renaissance, die der Begriff ,,naturlich“ sowohl in der idealistischen Naturphilosophie als in der friihen Historischen Schule erlebte, darf nicht als eine Riickkehr in wesensmetaphvsische Spekulation von theoretionalistischem Schnitt interpretiert werden. Das ist iibrigens eine gewöhnliche Auffassung unter Neukantianern, siehe u.a. Ritschls Urteil iiber die romantische Philosophie, in System, Sp. 88 ff, von einem Zitat aus Riehls Der philosophische Kriticismus undseine Rcdeutung fur die positive Wissenschaften: „Das Urtheil fiber ihren wissenschaftlichen ^'ert oder richtiger Unwert steht aber fest. Wir betrachten sie heute als einen Riickfall in die Denkweise einer Zeit, in der sich noch Poesie und Wissenschaft nicht deutlich gesondert haben.“ - (vgl. dazu Kiefner, Ideal •wird, was Natur war, S. 521 und S. 518, Fn. 12 und Wolf, Enk, Grofle Rechtsdcnkcr der deutsche Geistesgeschichte, S. 478 ff. (von Philosophie zu ,,wahrer Metaphysik“)), cs ist vielmehr eine Frage umdie erkenntnistheoretische Triebkraft, das nur aus der Dialektik zwischen zwei selbstständigen Polen entstehen kann. Siehe Schelling, Methode des akadcmischen Studiums, S. 278. Siehe ferner Riickert, aaO. S. 286 .Vgl. Wilhelm, Savignys uberpositive Systematik, s. 130. Anders hat Neusiifi das Vorkommen des Argumentationsgrundes ,,die Natur der Sache“ in den Schriften der Historischen Schule verstanden, aaO. S. 121. Siehe Sav'igny, Juristischer Methodenlehre, S. 11 (,,Natur“), ders., Vom Beruf, S. 1 (,,Sache“), S. 68 (,,die Natur“) och S. 81 (,,das Wesen der Sache“, vgl. ,,das innere Wesen“ in Die Grundgedanken, S. 24.

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