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118 Dabei zeigte es sich jedoch, dafi der kantianische Wissenschaftsbegriff unzureichend ist. Um die theoretischen Voraussetzungen fiir Savignys Bestreben, die Rechtswissenschaft mit einemphilosophischen Grund zu versehen, zu erfullen, war die Definition der metaphysischen Aufgabe, die Kant aufstellte, nicht anwendbar. Das kantianische Methodentraktat der Metaphysik gab nämlich nur die abstrakte-formelle- Formder Wissenschaft an und machte ,,nicht das besondere Systemeiner Wissenschaft" aus. Mit Ausgangspunkt in Kants kritischer Vernunftsposition mufi jede andere Bestimmung des Stoffes als die allgemeine Aufgabe und Ziel der Wissenschaft, als eine Abweichung vom Gebiet der reinen Wissenschaft aufgefafit werden. Schon die Begrenzung, die in dem Begriff „Recht“ in ,,Rechtswissenschaft" oder „juristisch" in ,,)uristischer Stoff" ausgedriickt wird, geht damit iiber das Vermögen der kritischen Vernunft, eine formelle Einheit in der Objektwelt zu schaffen, hinaus. Ein derartiger materieller Zusammenhang konnte nur seinen Grund in der inneren Einheit der Sache, die durch die kopernikanische Wende in der Philosophie zu dem zufälligen Wissensgebiet befördert worden war, haben. Dieser erkenntnistheoretische Ausgangspunkt fiihrte unwillkiirlich zu einer zweigeteilten Behandlung des rechtlichen Materials: einerseits die ausschliefilich formelle Bearbeitung des juristischen Stoffes durch die wissenschaftlichen Juristen, andererseits die Bearbeitung durch Juristen, die eine Abgrenzung und Systematisierung des eigentlichen juristischen Elementes in der Rechtslehre versuchten. Zwischen diesen verschiedenen Tätigkeitstypen innerhalb des juristischen Gebietes - die wissenschaftlich-theoretische und die praktisch-juristische- war keine Vermittlung möglich, und dies war, nach Savigny, zumNachteil fiir beide Seiten. Die materielle, eigentlich-juristische Tätigkeit wurde, mangels wissenschaftlicher Methode, ganz in die Hände von „Geschäftsmänner", die es niemals vermochten, die materielle Systematik des Rechts iiber das Niveau eines Aggregates zu erheben, iibergeben. In demMafie, in dem man dem Recht eine wissenschaftliche Existenz absprach, wurde die Bearbeitung des juristischen Stoffes zu einer unbewufiten, zufälligen und willktirlichen Tätigkeit reduziert.^^ Der Mangel an wissenschaftlicher Form fiir die zentralen Teile der Rechtswissenschaft - die rechtliche Systematik - bedeutete, dafi die Einheit und innere Kraft des Rechts aufierhalb des eigenen wissenschaftlichen Gebiets gesucht werden muf^te. Aufiere Zwecke beherrschten die Rechtswissenschaft und triegenstand der Disziplin - die Gesetzgebung - garantieren. Die Auffassung, daft die wissenschaftliche Behandlung des rechtlichen Stoffes neue rechtliche Formen biidet, macht buchstäblich die Seele in der „Gesetzgebungswissenschaft“, nach der Savigny strebte, aus. DieJurisprudenz ist dadurch „gesetzgebend“ geworden. ImGegensatz zu der iibrigen Gesetzgebung waren diese Gesetze vor allemwissenschaftlich hervorgebracht und legitimiert. Siehe dagegen Wilhelm, aaO. S. 65, was den Unterschied zwischen einem wissenschaftlichen „Beobachter“ und einem Gesetzgeber anbelangt. Siehe, was die Aufteilung der Juristen in „Geschäftsmänner“ und „Juristen von gelehrten Beruf“ betrifft, Savigny, Vorn Beruf, S. 95.

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