RB 44

119 ben sie, durch ständige Widerspriiche und Streitigkeiten, immer tiefer in Willkiir und Unsicherheit beziiglich der wahren Ausformung des Rechts. Die systematische Bearbeitung des Stoffes setzte einen philosophisch unbestimmten Stoff voraus; der Jurist, der seinen Stoff rein wissenschaftlich behandeln wollte, wurde somit gezwungen, die Eigenart seiner juristischen Arbeit aufzugeben und sich ganz mit philosophisch abstrakten Relationen zu befassen. Abgeschnitten von der Einsicht in die eigentliche apriorische Bestimmung des Objektes muBte die wissenschaftliche Tätigkeit gezwungenermafien sowohl trocken als auch mager werden: “Wenn sich nun die Wissenschaft des Rechts von diesem ihremObjecte ablest, so wird die wissenschaftliche Thätigkeit ihren einseitigen Weg fortgehen können, ohne von einer entsprechenden Anschauung der Rechtsverhältnisse selbst begleitet zu seyn; die Wissenschaft wird alsdann einen hohen Grad formeller Ausbildung erlangen können, und doch alle eigentliche Realität entbehren. Die wissenschaftliche „Einseitigkeit“,^'* die in dieser Passage kritisiert wird - der Mangel an einer erkenntnistheoretischen Verbindung zwischen der ordnenden Vernunft und der materiellen Struktur der Objektwelt — machte die Rechtswissenschaft unfähig, ihre Aufgabe, eine Einheit imrechtlichen Stoff zu schaffen, zu erfullen. Aus diesem Unvermögen erzwangen sich immer beharrlichere Rufe nach Kodifikation, die nun sogar die letzten Reste von Wissenschaftlichkeit in der Jurisprudenz bedrohten. Die Kodifikation sollte, nach Savigny, endgiiltig die Einheit des Rechts in ausschlieBlich äuEere und zufällige Zweeke begriinden.^^ Diese Kritik an der philosophischen Einseitigkeit, welche der kantianischen Vernunftskonzeption anhaftet und vor allem gegen die kantianisch geprägten Rechtswissenschaftler gerichtet ist, beriihrte einen grundlegenden, um nicht zu sagen problematischen Zug in Kants freier Wissenschaftsauffassung, nämlich die einseitige und starre Relation zwischen der Wissenschaft an sich - der Metaphysik - und den Disziplinen, die von der Eigenart des historischen Stoffes geprägt werden. Die kantianische Ausformung der Metaphysik vermochte es weder - noch hatte sie die Absicht! - die objektprägten Disziplinen mit einemunabhängigen wissenschaftlichen Grund zu versehen. Nur durch die theoretische Vereinigung “ 33 " AaO S. 18, siehe den Abschnitt, der mit den Worten „Das Reelit . . . hat kein Daseyn fiir sich . . beginnt. '■* Uber den Ausdruck „Einseitigkeit“ als ein Stichwort fur den Verdacht, den Savigny gegen die Finwirkung des fachphilosophischen Studiums auf die juristische Wirksamkeit hegte, siehe Schroder, Horst, Uber die Stcllung und die Auffassung C. Fr. von Savigny zurn Wesen und zu den Aufgaben der Universitdt seiner Zeit, S. 248. Savignv, Vom Beruf, S. 1: „Als der Code in Deutschland eindrang und krebsartig immer weiter frab, war von innern Griinden nicht die Rede, kaum hie und da in leeren Phrasen: ein aufierer Zweek bestimmte alles . . vgl. dazu auch S. 108; „wie traurig der Zustand eines Rechts ist, welches auf bios mechanische Weise zum Zweek der äuberen Nothdurft hinlanglich erlernt w'erden kann".

RkJQdWJsaXNoZXIy MjYyNDk=