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no nisreichtums innerhalb dieses Gebietes ermöglichte. Der entscheidende Unterschied zwischen der bluhenden und gut angesehenen römischen Rechtswissenschaft und der deutschen Jurisprudenz lag in der Behandlung des juristischen Stoffes. Im Gegensatz zu den klassischen römischen Juristen, gliickte es den deutschen Juristen nicht, die erforderliche Einheit des rechtlichen Stoffes zu schaffen und verursachten dadurch die prekäre Situation der Rechtswissenschaft. Die deutsche Jurisprudenz drohte buchstäblich in den mannigfaltigen Ansichten, Begriffen, Systemen und Rechtsregeln, die ihre organische Entwicklung hervorbrachte, zu ertrinken: „Betrachten wir nämlich unsern Zustand, wie er in der That ist, so finden wir uns mitten in einer ungeheuern Masse juristischer Begriffe und Ansichten, die sich von Geschlecht zu Geschlecht fortgeerbt und angehäuft haben. Wie die Sache jetzt steht, besitzen und beherrschen wir diesen Stoff nicht . . Diese Auffassung von der Vielfalt, des von der Geschichte herv^orgebrachten juristischen Stoffes, als ein Hindernis fiir die rechtswissenschaftliche Entwicklung zu einer Wissenschaft, ist von einer bestimmten wissenschaftstheoretischen Standpunktsbestimmung des Begriffes „Stoff“ stark geprägt. Durch die, von der ,,kopernikanischen“ Wende emanzipierte, Vernunft wurde die innere Einheit des Stoffes - ”das Ding an sich selbst“ — zumauBerhalb des möglichen Gebiets des notwendigen Wissens liegend gehörig erklärt. Daitiit hatte sich das apriorische Element des Wissens aufgelöst; der Jiingling, der, mit Schellings Worten: ,,. . . zuerst in die Welt der Wissenschaften eintritt, kann, je mehr er selbst Sinn und Trieb fiir das Ganze hat, desto weniger einen andern Eindruck davon erhalten, als den eines Chaos, in dem er noch nichts unterscheidet, oder eines weiten Ozeans, auf den er sich ohne KompaB und Leitstern versetzt sieht“.* Die Objektwelt des Wissens hatte sich, ihrer einheitschaffenden Kraft beraubt, in eine konturenlose Vielfalt, ein Chaos verwandelt - an sich zufällig und methodologisch offen. Dies beinhaltet, daft das Bestreben gegen das enzyklopädische Ideal - die empirische Vollständigkeit - als ein Suchen nach einer Illusion aufgegebenen werden muBte, „. . . weil es fiir die Erzeugung der Verschiedenheiten wirklicher Fälle schlechthin keine Gränze giebt“.’ Die Stoffproblematik der Rechtswissenschaft hatte folglich nicht ihren Grund in Ermangelung an Material; Savigny wies ausdriickhch den Gedanken an sowohl Rezeption von materiellemrömischen Recht als „. . . ein sanctionirtes Naturrecht“,'° als auch bloB historische Studien iiber die Aufnahme römischen Rechts in die deutsche Rechtsgelehrsamkeit zuriick. Solche MaBnahmen ^ Siehe aaO. S. 68. Was den Stoff-Begriff im Allgemeinen bei Savigny betrifh, siehe ferner aaO. S. 69f., S. 76 und S. 81; Die Grundgedanken, S. 17. ** Schelling, aaO. S. 211. ’ Savigny, VomBeruf, S. 13. AaO. S. 16.

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