RS 29

part i • supreme courts • bernhard diestelkamp Land.61 Diese behandelten die Hexerei als crimen exceptum. In Prozessen über dieses Delikt waren die Richter nach dem Gemeinen Prozeßrecht von zahlreichen verfahrensrechtlichen Restriktionen befreit. Allein deshalb kam es zu den prozessualen Exzessen bei der Verfolgung der Hexerei. Das Reichskammergericht lehnte dagegen diese Interpretation ab und forderte immer wieder die Einhaltung der Prozeßrechtsnormen ein. Der Beitrag des Reichskammergerichts zur Rechtskultur der Frühen Neuzeit liegt in diesen Fällen nicht in erster Linie in dem Urteil, das es im konkreten Verfahren fällte, sondern ist vielmehr darin zu sehen, dass es selbst bei ideologisch so brisanten Themen wie den Religions- oder Hexenprozessen immer wieder auf Einhaltung der rechtlichen Regeln beharrte. Mit seinem unermüdlichen Beharren auf der Einhaltung des Verfahrensrechts und der Rechtlichkeit von Problemlösungen hat das Reichskammergericht Wesentliches zur Ausformung der spezifischen Form des deutschen Rechtstaatsgedankens beigetragen.62 Bestand die Aufgabe bei der HöchstenGerichtsbarkeit darin, für eine alte Thematik neue Perspektiven zu eröffnen, so galt es bei der Rechtlichen Zeitgeschichte, diesen Teilbereich als Feld rechtshistorischer Forschung überhaupt erst zu entdecken. Weder die Wissenschaft noch die Lehre hatten sich im Gegensatz zur allgemeinen Zeitgeschichte mit Problemen des 20. Jahrhunderts befasst. Entscheidungen und Literatur dieser Zeit schienen keine historischen Quellen zu sein, weil sie das Material waren, mit dem Lösungen für aktuelle Rechtsprobleme erarbeitet wurden. Nur wenige wie Bernd Rüthers63 oder Michael Stolleis64 verließen diese me61 Peter Oestmann, Hexenprozesse am Reichskammergericht. QFHG. Bd. 31, 1997. 62 Bernhard Diestelkamp, Die historischen Wurzeln der deutschen Rechtsstaatskonzeption. Der Staat, Bd. 51, 2012, 591 ff. 63 Rüthers, Bernd, Die unbegrenzte Auslegung. Zum Wandel der Privatrechtsordnung im Natinalsozialismus. Tübingen 1968. 64 Stolleis. Michael, Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht. Münchener Universitätsschriften –JuristischeFakultät,Abhandlungenzur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung Bd. 15, Berlin 1974. 80 Erste Sicht auf die rechtliche Zeitgeschichte

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