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freilich unter Umständen das Bedürfnis zu einer Abweichung von diesen Consequenzen führen kann“.62 In der Sprache der für Puchta prägenden Spätphilosophie Schellings betrieb Puchta mit seiner Rationalisierung eines frei entstandenen und weiterhin frei entstehenden Stoffes ‚negative Philosophie’, die ihre Grenzen überschritt, wenn sie ihre Fähigkeit behaupten wolle, die ‚Wirklichkeit’ sei in diesem Sinne ‚vernünftig’ – hier setzte Schellings und Puchtas Hegelkritik an.63 Um Recht adäquat zu erfassen, musste man also der ‚negativen’ eine ‚positive’ Philosophie an die Seite stellen und Puchta betrachtete in diesem Sinne ergänzend das Recht in seiner frei-‚positiven’ geschichtlichen Entstehung. Recht war daher geschichtlich-frei und systematisch-notwendig. Puchtas Pandektenlehrbuch betonte nur eine, die systematische Seite des wissenschaftlichen Blicks, auch um Studenten über Strukturen den denkerischen Zugang zu erleichtern. Daneben trat die historische Erklärung des Rechts als freiem Produkt desVolksgeistes. Diese Erklärung wurde den Studenten, was spätere Kritiker übersahen,64 in der vorgeschalteten Institutionenvorlesung vorgetragen.Auch in einer zweiten Hinsicht war die Ausblendung der didaktischen Funktion von Puchtas Pandektenlehrbuch sei- tens der Kritiker Puchtas für das spätere Missverständnis einer logisch-deduktiven „Begriffspyramide“ mitverantwortlich:Nicht gesehen wurde, dass Puchtas hochverdichtetes Lehrbuch nur vorlesungsbegleitend war und in seinen mündlichenVorträgen mit breiten Erklärungen versehen wurde. Puchtas Rezensent Wilhelm August Friedrich Danz hatte 1838 auf diese Banalität hingewiesen: „Jedes Lehrbuch hat nun aber den speciellen Zweck in einem bestimmtenVerhältnis zu den darüber zu haltenden Vorträgen und zu den übrigen Disciplinen theils in demselben Fache, theils auch anderen Fächern zu stehen“.65 Gleichwohl musste sich auch Jhering 1871 von Rudorff, dem Herausgeber von Puchtas Lehrbuch, entgegenhalten lassen, dass dieTatsache, dass in Puchtas Pandekten die „realen Faktoren hinter dem logischen Element“ zurückträten, nicht darüber hinwegtäuschen dürfe, „daß Puchta die realen re cht swi s s e n scha f t al s j ur i st i sch e dok t r i n 96 62 Georg Friedrich Puchta,Vorlesungen über das heutige römische Recht, hier nach ND der 6.Aufl. 1874, Goldbach 1999, S. 25. 63 Zu diesen Zusammenhängen Haferkamp, Puchta (Fn. 2), S. 324 ff. 64 Nicht aber Joachim Rückert, Autonomie des Rechts in rechthistorischer Perspektive, Hannover 1988, S. 79. 65 WilhelmAugust Friedrich Danz,Rez.Mühlenbruch und Puchta (Fn. 50),Sp. 1363.

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