RS 25

beiden Gesichtspunkte sind keineswegs unauflöslich miteinander verbunden. Savigny beschreibt die wissenschaftliche Bearbeitung eines jeweiligen positiven Rechts. Dabei gilt der Beruf des Juristen zur wissenschaftlichen Entwicklung des Rechts grundsätzlich für alleVölker. Die Wissenschaftlichkeit hat nach dieser Vorstellung, wie wir bereits gesehen haben, tatsächlich Anspruch auf allgemeine Verbindlichkeit. Dies betrifft selbstverständlich auch das Zarenreich. Gegenüber Speranskij hatte Savigny in einem Brief vom26. Oktober 1829 erklärt, es sei ein Glück, in einer Zeit zu leben, in der dieVorurteile derVölker sich mehr und mehr verringerten, in der die Kenntnisse und Fortschritte des einenVolkes sich bald zu einem allgemeinen Gut verwandelten und in der die Fortschritte derWissenschaft weniger als jemals an den politischen und nationalen Grenzen anhielten.255 Im Hinblick auf das Zarenreich konnte Savigny auch angesichts der gerade abgeschlossenen Kodifikationsarbeiten davon ausgehen, daß sich durch die Fertigstellung des Svod Zakonov das Bedürfnis nach Verwissenschaftlichung keineswegs erledigt hatte. Seine berühmt gewordene Befürchtung, eine Kodifikation führe zu einer Fixierung des status quo und hemme dessen „Reinigung undVeredlung durch fortschreitende wissenschaftliche Entwicklung“,256 stand dem nicht entgegen. Hier liegt nämlich ein Sonderfall vor imVergleich mit der Konstellation, die Savigny zu seiner Kodifikationskritik veranlaßt hatte.Was im Zarenreich kodifiziert worden war, bildete ja gerade eine neubearbeitete Sammlung bisherigen Rechts. Und diese entsprach kaum dem, was man aus Savignys Sicht als wissenschaftlich hätte bezeichnen wollen. Es wird also gerade nicht wissenschaftlich konzipiertes Recht festgeschrieben, sondern ein solches, das vonWissenschaft noch gar nicht erfaßt ist. Wir wissen heute, daß die Savigny vorschwebende Vermittlung von Rechtswissenschaft ein Stück weit tatsächlich stattgefunden und langfristigeWirkungen entfaltet hat. Gleichzeitig bereitete jedoch der Einfluß der Historischen Schule noch für lange Zeit den Bemühungen um eine Modernisierung des russischen Rechts durch solche Elemente des Rechtsdenkens Hindernisse, die aus fremden Rechtsordnungen mart i n ave nar i u s 81 255 Majkov, Speranskij (Teil 2, o. Fn. 53), S. 241. 256 Savigny, System, Bd. 1 (o. Fn. 151), S. 47 f. v. sch luß

RkJQdWJsaXNoZXIy MjYyNDk=