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Nun birgt die Konfrontation eines hohen Regierungsbeamten mit der Auffassung, dessen Rechtsordnung bedürfe der Entwicklung imWege der Mission, einige Brisanz. Diese wird im vorliegenden Falle noch verschärft durch eine bemerkenswerte zeitliche Koinzidenz: Als Savigny seinen Brief an Balug’janskij schrieb, war unter dessen Verantwortung gerade der Svod Zakonov fertiggestellt worden, der wenige Tage später, nämlich am1. Januar 1835 (alten Stils) in Kraft treten sollte.133 Man ist heute geneigt, diese Kodifikation als rückständig und mangelhaft zu kennzeichnen, weil derVergleich mit westeuropäischen Gesetzen der Zeit dies ebenso nahelegt wie die Kritik eines Teils der Zeitgenossen.134 Gleichwohl war die offizielle Wahrnehmung damals eine andere. Es handelte sich um das Ergebnis langer Arbeit herausragender Juristen, ein vom Zaren initiiertes und akzeptiertes Kodifikationswerk mit großem Prestigewert.135 Savigny, der sich hier im Rahmen eines von gegenseitigem Respekt getragenenVerhältnisses äußert, hätte auf seine Bemerkung sicherlich verzichtet, wenn er hätte fürchten müssen, daß sie als Provokation aufzufassen sei. Daß dies offenbar nicht der Fall war, ergibt sich in erster Linie aus der klaren Absprache der Zwecke der Ausbildung junger Stipendiaten imVorfeld: Es ging gerade um die wissenschaftliche Qualifikation des akademischen Nachwuchses, um einem entsprechenden Bedarf nachzukommen, der im Zarenreich unzweifelhaft bestand. Daß dies imAusland stattfinden sollte, konnte zwar als unangenehm wahrgenommen werden,136 war aber jedenfalls eingestanden und lag offen zutage. mart i n ave nar i u s 55 133 Welcher Anteil gerade Balug’janskij an der Herstellung des fünfzehnbändigen Sammelwerkes zugerechnet wurde, mag sich daran zeigen, daß Nikolaus I. 1837 eigenhändig in Balug’janskijs Adelswappen die Ziffer XV eintrug. Vgl. den Art. Balug’janskij in: Polovcov (Hrsg.), Russkij biografičeskij slovar’ (o. Fn. 25), S. 455; Michajlenko/Juza, Pervyj rektor vozroždennogo Universiteta (o. Fn. 26). 134 Avenarius, Rimskoe pravo (o. Fn. 1), S. 19 f. bzw. ders., Rezeption (o. Fn. 1), S. 15 f. mit Nachweisen.Vgl. nun ferner Krjukova, Zwischen Archaik und Moderne (o. Fn. 47), S. 149. 135 Über Entstehung undWeiterentwicklung der Gesetzessammlung vgl. näher P. M. Majkov, O Svode zakonov Rossijskoj imperii (Über die Sammlung der Gesetze des Rußländischen Reiches, 1906), hrsg. vonV.A.Tomsinov (2006). 136 Daß an der Ausbildung des akademischen Nachwuchses im Ausland teilweise durchaus Anstoß genommen wurde, sollte sich später daran erweisen, daß die Schließung des Russischen Seminars für römisches Recht in Berlin1896offenbar jeden- falls auch auf „gekränkte Eigenliebe der russischen Gelehrtenwelt“ zurückging.Vgl. den anonymen Bericht bei Leonhard (Hrsg.), Stimmen des Auslands

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