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Ausdruck in der literarischen Figur desVladimir Lenskij, der nach Rußland zurückkehrte „mit einer geradezu Göttingischen Seele / [...] / Anhänger Kants und Dichter. / Aus dem nebligen Deutschland brachte er / die Früchte der Gelehrsamkeit: / freiheitsliebende Gedanken, / einen Geist, feurig und ziemlich sonderbar [...].“46 Was Puškin in der berühmten Passage seinesVersepos Evgenij Onegin (1823/30) verherrlicht, bedeutete für den Zaren, kaum mehr als ein Jahr nach dem Dekabristenaufstand, eine Gefahrenquelle. Mit Rücksicht auf den Zwiespalt, in dem sich die Zarenregierung mit ihrem Interesse an moderner Ausbildung und ihren Befürchtungen gegenüber „gefährlichen“ geistigen Anregungen jahrzehntelang befand, hat der kanadische Historiker Allen A. Sinel die Metapher von der Bildung als zweischneidigem Schwert gefunden.47 Als sich die Einsicht durchgesetzt hatte, daß man, um die alte Ordnung aufrechterhalten zu können, nicht in starrer Untätigkeit würde verbleiben dürfen, entschloß man sich zu dem Versuch, die gefährliche Schneide des Schwertes abzustumpfen und gleichzeitig die nützliche zu schärfen. So beschloß die Regierung offenbar zum ersten Mal seit längerer Zeit, die Bildung einzelner Studenten im Ausland nicht allein zu erlauben, sondern sogar selbst zu organisieren und durch Stipendien zu fördern. Dabei sollte von vornherein gewährleistet werden, daß die in Aussicht genommenen Studien den Stipendiaten möglichst wenig unerwünschte Einflüsse, wohl aber vorzugsweise jene „technischen“ und politisch unbedenklichen Fertigkeiten vermitteln sollten, deren sie bedurften, re cht swi s s e n scha f t al s j ur i st i sch e dok t r i n 28 tutions de leur pays défectueuses.” Aus einem Tagebucheintrag des Fürsten A. S. Menšikov vom21.5.1827, bei N. K. Šil’der (Hrsg.), Imperator Nikolaj Pervyj. Ego žizn‘ i carstvovanie (Kaiser Nikolaus I.. Sein Leben und seine Herrschaft), Bd. 2 (1903), S. 407. 46 A. S. Puškin, Evgenij Onegin2,6: По имени Владимир Ленский, /С душою прямо геттингенской,/[...]/Поклонник Канта и поэт./Он из Германии туманной/Привез учености плоды: /Вольнолюбивые мечты, /Дуx пылкий и довольно cтранный[...]. Vgl.A. Ju.Andreev,Russkie studenty v nemeckich universitetachxviii – pervoj poloviny xixveka (Russische Studenten an deutschen Universitäten vom18. bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, 2005), S. 280. 47 Vgl. A. Sinel,The Classroom and the Chancellery: State Educational Reform in Russia under Count DmitryTolstoj (1973), S. 3:“The two-edged sword of education might strike down the autocracy instead of lopping off the Hydra-heads of illiteracy, technical backwardness, and bureaucratic incompetence”.Vgl. ferner S. Krjukova, Zwischen Archaik und Moderne – Strategie und Taktik des russischen Absolutismus im19. Jahrhundert, in: Giaro (Hrsg),Modernisierung durchTransfer im19. und frühen 20. Jahrhundert (o. Fn. 2), S. 145-158 (149).

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