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Savignys Interpretationsgedanke war vielmehr bekanntlich die Volksgeistlehre, die er unterVerwendung wichtiger Anregungen von Montesquieu insbesondere der Entstehungs- und Wirkungsgeschichte der justinianischen Kodifikation entnahm, in der er – vor allem mit Blick auf das gesamteuropäische Ereignis der Rezeption – eine Bestätigung dafür sah, daß die Erscheinung des römischen Rechts einem höheren Wirken verdankt wird.Auch darin liegt eine Analogie zur stoischen Deutung, da der ὀρθὸς λόγος des ius gentiumund die der Gliederung derWelt in civitates zugrundeliegenden νόμος des ius civile nach stoischer Auffassung wie alles Geistige göttlichen Ursprungs sind. Ein bedeutender Unterschied liegt allerdings darin, daß SavignysVolksgeist, der den bei den Römern wirksamen Geist zu einem allenVölkern offenbarten Prinzip hypostasiert, nicht dualistisch gedacht ist, sondern monistisch und ausschließlich in den einzelnen Völkerindividualitäten wirkt, mit der Folge, daß es das übergreifende, den Verkehr regelnde Völker- und Menschenrecht des ius gentium nicht mehr gibt, vielmehr jedesVolk seine individuelle Rechtsordnung universal verstehen muß und für alle Menschen, die mit ihr nach den Regeln des Internationalen Privatrechts in Berührung kommen, in Geltung setzt.28 Savignys Deutung des römischen Rechts war überaus erfolgreich, aber so unhistorisch wie nur möglich. Sie war als Mythos von großer ästhetischer und zugleich systembildender Kraft. Der Gedanke, daß Gott jedem Volk die Aufgabe gestellt hat, ein Recht zu schaffen, daß unter Bedingungen sozialer Rücksicht dem Einzelnen ein freies, selbstverantwortliches Leben ermöglicht, und daß alleVölker gut daran tun, zur bestmöglichen Erfüllung dieser Aufgabe das Rechts des Volkes zu studieren, dem o k k o b e h r e n d s 32 28 Der berühmte 8. Band des Systems des heutigen römischen Rechts ist dieser Frage gewidmet. Savigny hat die Konkurrenz der nationalen Rechtsordnungen, die sich konsequent in einer Konkurrenz der nationalen Kodifikationen fortsetzt, nach dem Prinzip der Gleichwertigkeit gelöst. Schon die Handhabung des ordre publice in den Nationalstaaten zeigt, daß die Gleichwertigkeit der nationalen Sicht eher abgerungen werden muß und durch Voreingenommenheit, politische Zweckmäßigkeit oder imperiale Tendenzen eines Gemeinwesens durchbrochen werden kann.

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