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d i e k o d i f i k at i o n u n d d i e j u r i s t e n 185 der Praxis im Rechtssystem zuerkannt werden sollte.Trotz deutlicher Zeichen dafür, dass die Praxis einen immer größeren Platz in der Rechtsordnung einnimmt72 ist es weiterhin umstritten, die Praxis zu einer “richtigen” Rechtsquelle zu erheben. Die Idee, dass einzelne Gerichtsurteile “alchemistisch” zu einem Status gleichwertig mit dem Gesetz erhoben werden können, ist deutlich unangenehm.73 Der Begriff Rechtsquellenkampf ist äußerst relevant für dieses besondereVerhältnis. Zuweilen hat der Kassationsgerichtshof buchstäblich eine neue Gesetzgebung herausgefordert, indem er völlig bewusst “falsch” geurteilt hat.74 Die heutige Sichtweise der Bedeutung der Praxis als Rechtsquelle ist sicherlich flexibler als z.B. bei dem Belgier Laurent in seinem Werk Principes de droit civil von 1869.75 Hier werden Rechtsbildung und Rechtsanwendung synonym mit Gesetz bzw. Praxis gestellt. Die Darstellung ist von einer allgemein negativen Sichtweise auf die Bedeutung der Rechtsanwendung als Rechtsquelle geprägt. Alle technischen Feinheiten des Inkrafttretens, der Berecte du droit, par l’influence qu'elle exerce parfois sur le législateur. ... la discussion porte ... sur la question de savoir si l’on doit ou on reconnaître la création directe par la jurisprudence de règles juridiques générales ...”, O. Dupeyroux, La doctrine française et le problème de la jurisprudence source de droit, Mélanges Gabriel Marty,Toulouse (1978), s. 463f. 72 “...la montée en puissance de la jurisprudence aura été l’événement français le plus marquant depuis la rédaction du code civil. ... le droit français reste fondamentalement législatif, mais il a désormais une deuxième source qui revêt une importance considérable.”, P. Jestaz, supra n. 11, s. 306. 73 “Par quelle étrange alchimie les décisions de justice qui sont normes individuelles, concrètes et catégoriques peuvent-elles se muer en une règle de droit générale, abstraite et hypothétique?”, F.Terré, Introduction générale au droit, Paris (1994), s. 208. 74 Oft wird auf den Desmares-Fall vom21 Juli 1982 verwiesen, in dem der Kassationsgerichtshof dem Opfer einesVerkehrsunfalls das Recht auf Ersatz aberkannt, da Art. 1384 nicht dahingehend ausgelegt werden konnte, dass eine Person mit Kontrolle über einen Gegenstand eine allgemeine Schadenersatzpflicht trifft, wenn diese die Kontrolle über den Gegenstand verlor (in diesem Fall ein Auto). Seitdem einVerkehrsschadenersatzgesetz 1985 erlassen wurde, distanzierte sich der Gerichtshof von dem Urteil; Cabrillac, supra n. 52, s. 123. 75 Laurent, supra n. 51; Laurents ist nicht unwichtig; Belgien wurde erst 1830 durch die Revolution selbständig und wie auch in Frankreich wurde das Gesetz lebenswichtig für die nationale Selbständigkeit angesehen: “On craint la tyrannie des majorités. ... Prêchons l’obéissance à la loi, afin de répandre le culte du droit et de rendre le despotisme à tout jamais impossible!”, s. 72.

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