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Marie Sandström 180 durch Rechtssprechung und Rechtswissenschaft nur relativiert wcrden. Das Vermögen der Kodifikation, das Recht zu vcreinheitlichen, setzt voraus, dalJ die historischen und somit auch nationalen Wurzeln des geltenden Rechts aus dem Wege geräumt werden. Damit kann der Kodifikationsfiirsprecher aber nicht zufrieden sein; dieses berechtigte Milkrauen den anderen Rechtsquellen gegeniiber wird auch nach dem Inkrafttreten der Gesetzgebung bestehen. Die Auslegung und Ausfiillung der Praxis und die Darstellung des Rechts in der Dogmatik kann, aus diesemGesichtwinkel, nur Nachteile fiir das Streben nach Rechtseinheit mit sich bringen Aus diesem Grund wurden ja auch die groben Kodifikationen der Aufklärung regelmäl^ig mit sowohl Auslegungs- wie Kommentarv'erboten versehen. Diese Unterdriickung der Rechtswissenschaft und Rechtsprechung durch die Kodifikation kann an sich schon als ein grower Nachteil auf der iibernationalen Stufe erscheinen. Noch schlimmer wird es, wenn man bedenkt, wie eine solche Rechtseinheit mit den nationalen Rechtsystemen umgehen wird. Entweder mul^ die „Harmonisierung“ der nationalen Rechtsordnungen in der Tat eine Auslöschung aller nationalen Besonderheiten verursachen, oder der Gesetzgeber mu£ eine weit gröl^ere Bedrohung der Uniformität der Kodifikation innerhalb des europarechtlichen Systems, als Praxis und juristische Doktrin es sind, akzeptieren. Das Verhältnis zu den nationalen Rechtssystemen wird sicherlich auch ohne Kodifikation eine Quelle unendlicher Kontroversen im Europarecht sein. Der ausgeprägt dualistische Charakter des Europarechts kilk auch vermuten, daft alle diese Neo-Savigny’schen Einwände gegen eine Kodifikation in Europa eigentlich nicht einmal nötig sind, um eine Kodifikation zu verhindern. Die Kodifikation mag als ein rechtswissenschaftliche Rtickschlag gesehen werden, aber sie scheint vor allem eine politische Unmöglichkeit darzustellen. Abgesehen davon, ob dieses Unvermögen, den nötigen politischen Konsens zu erreichen, einen sachlichen Grund hat oder nicht, scheint unsere Zeit keinen Beruf fiir Kodifikationen zu haben. Aber aus Mangel an politischer Ubereinkunft kann der Gesetzgeber die Autorität der Kodifikation anderswo suchen. Wenn die politisch-ideologischen Argumente fur ein Unternehmen fehlen, so bleibt die Möglichkeit, diese durch wissenschaftliche Griinde zu ersetzen. Die Vorteile sind offenbar: 1. wissenschaftliche Argumente sind unanfechtbar, eben weil sie wissenschaftlich begriindet sind; 2. durch eine wissenschaftliche Begrundung wiirde der systematische Uberblick der Gesetzgebung garantiert werden. Diese Aufgabe kann die Rechtswissenschaft nur dann erfullen, wenn sie ihre Wirksamkeit als eine Alternative zur Gesetzgebung ansieht. Diese zwei juristische Denkarten miissen - um fungibel zu sein - voneinander unabhangig erscheinen. Nur durch eine einzige Methodenlehre- die Naturrechtslehre - wird der Jurist befugt, die Grenze des geltenden Rechts zu iiberschreiten; das Ver-

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