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Theorie und praxis 117 Wahlreform und politische Betonung von Modernität in der Reformarbeit brachten es mit sich, dab zunehmend eher kritisch als dynamisch argumentiert wurde. Deutlich wird umdieJahrhundertwende auch, dab sich allmahlich Verschiebungen der Argumentation zur Disposition von Gesetzesvorarbeiten ergeben: das Interesse fiir historische Darstellungen oder zumindest Einfiihrungen nimmt deutlich ab; Kontinuitätsargumentation war nicht mit dem Aufbau eines modernen Wohlfahrtsstaates vereinbar. 5. Zusammenfassung Dieses Apergu hat ergeben, dab im ausklingenden 18. und im 19. Jahrhundert das geschichtlich-rechtsgeschichtliche Argument zu rechtspolitischen Zwecken benutzt wurde. Eine andere, parallele Frage ware, ob ein derartiges Argument auch in der gegenwärtigen rechtspolitischen Lage Gewicht haben kann. Oder allgemeiner gefragt: Spielt das historische Argument fiir dieJuristen heute noch eine Rolle? Und: Gibt es heute noch ein historisches Argument im Dialog zwischen Rechtsprechung und Wissenschaft? Und wenn: Welchen Kategorien ist es zuzuordnen? Der Historikerstreit in Deutschland hat unter Juristen das Bewubtsein um die Anpassungsfähigkeit der Juristen geschärft. In diesem Streit wurde wirklich Geschichte als revolutionäres, kritisches Argument benutzt. Ahnliches findet man in Deutschland im gegenwärtigen Diskurs umund iiber die neuen Bundesländer. In Deutschland hat man fur diese Art von Argumentation das Wort Vergangenheitsbewältigung. „Die Auseinandersetzung iiber Gegenwart und Zukunft spiegelt sich in Denkbildern, die der Vergangenheit entnommen waren.“ So war es während der Weimarer Republik in der antagonistischen Konstellation zwischen Anhängern und Gegnern des Versailler Vertrages, so war es in denJahren nach 1945 und so ist es heute wieder, nach der Wiedervereinigung von 1990. Ernst Nolte nennt diesen andauernden Bewältigungsprozeb „den Krieg der Erinnerungen“.^^ Nach 1946 hat diese kritische rechtsgeschichtliche Argumentation unterschiedliche Formen gefunden. Schon imGrundgesetz von 1949 war die Kontinuität der historischen Argumentation deutlich. Die strikte Gewaltenteilung war ein Erbe aus der Zeit des liberalen Rechtsstaates, und bei der Griindungdes Bundesverfassungsgerichts im Jahre 1951 waren Tradition und historische Wurzeln wichtig. Auch heute noch wird auf historische Vorbilder in Gestalt Ernst Nolte, Die Deutschen und ihre Vergangenheiten. Erinnerung und Vergessen von der Rcichsgrundung Bismarcks bis heute. Propyläen Verlag 1995. - Vgl. Rezension in FAZ 31.5.1995. .17

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