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Dierechtsquellenlehrein der deutschen rechtswissenschaft ... den Staatswillen zuriickfiihrte - denn nicht die Reehtswissensehaft, sondern der Richter konnte aufgrund seines Amts als vom Staat ermachtigt gelten, Rechtsbestimmungen vorzunehmen, die nicht im Gesetzesrecht enthalten waren.'*'* Im Endergebnis traten in der Rechtsquellenlehre die Kategorien Gcsctzcsrccht und Richtcrrecht das Erbe der Puchtaschen Definitionen an. Dabei wird das Gewohnheitsrecht zu einem schwer einzuordnenden Faktor, dessen Bedeutung fur die Rechtsbildung als marginal betrachtet wird. Nur noch selten kann man nach 1900 ein klares Bekenntnis zur Rechtsquellenlehre der historischen Schule finden; an erster Stelle ist hier der Miinchner Anwait und Honorarprofessor Theodor Loewenfeld zu nennen, Verfasser der Einleitung des Staudingerschen BGB-Kommentars in den vor 1914 erschienenen Auflagen. In diesem Werk findet man folgende Sätze, die als eine meisterhafte Kurzdarstellung der Rechtstheorie Puchtas gelten können: „Begrifflich wie geschichtlich ist die Art der Rechtserzeugung, welche man als gewohnheitsrechtliche bezeichnet, nicht nur die urspriinglich allein wirksame, sondern auch heute noch die Grundlagc aller Rechtserzeugung, jede andere Art als von ihr abgeleitet oder als „sekundär“ zu bezeichnen. Dal^ bestimmte Organe der Gemeinschaft fur die letztere Recht setzen, hat die fortwährende Anerkennung dieser Organe und ihres Amtes als vertretender Organe der Rechtserzeugung zur Voraussetzung. In diesemSinne wird mit Recht betont, dab die verbindende Macht des Gesetzes auf Gewohnheitsrecht beruht und dab diesem nicht nur zeitlich oder fur bestimmte Perioden der Rechtsgeschichte, sondern iiberhaupt begrifflich die iibergeordnete Stellung zukommt, nicht aber umgekehrt dem Gesetz gegeniiber dem Gewohnheitsrecht. Beide unterscheiden sich als unmittelbare und mittelbare Rechtserzeugung. Mit Recht weist Puchta darauf hin, dab die Frage, aus welchemGrunde Gewohnheitsrecht giiltig, identisch ist mit der Frage, aus welchemGrunde Recht iiberhaupt gilt. Wie ist nun dieser Wandel der Rechtsquellenlehre nach 1870 zu erklären, und welche Konsequenzen hat er gehabt? Versuchen wir zunächst, eine kurze Darlegung der Ursachen zu geben. Hier ist natiirlich zunächst an den VerfasSLingswandel in Deutschland zu ermnern, der sich durch die Bismarcksche Reichsgriindung von 1871 vollzog und den neuen Reichsorganen auf zentralen Rechtsgebieten die Gesetzgebungskornpetenz und zwar insbesondere in den zentralen Bereichen der Rechtssetzung einräumte, von der das Reich dann auch sofort auf dem Gebiet des Verfahrensrechts durch die Reichsjustizgesetze von 1877, in Kraft getreten 1879, weitgehend Gebrauch machte."*^ So wörtlich Biilow, Gesetz (wie Anm. 40), S. 40 t. ■''' Tlieitdor Loewenteld, in: Julius v. Staudingers Kommentar zum Burgerliehen Gesetzbuch Bd. 1, .S./ti. Autl., Miinchen Berlin 1910, F.inleitung V I c (S. 12). Zu l.oewenteld ct. Joachim Riikkert, NDB 15 (I9S7) S. 91 t. ■*'’ Zu diesen Gesetzen der Uberblick in meinem Beitrag, Die Reichsjustizgesetze von 1879 und die deutsche Rechtseinheit, m: Vom Reichsjustizamt zum Bundesministerium der Justiz, bestschrdt zum I OOiahngen Grundungstag des Reichs|ustizamtes, Köln 1977, S. 161-211. 81 “4S

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