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JURISTISCHKRABSOLUTISMUS UND PRIVATRECHT IM 19. JAHRHUNDERT Dingen liegt, wo intelligente Augen es lesen können, um daraus lehrreiche Reflektionen und legitime Konsequenzen zu ziehen. Seit den achtziger Jahren bricht in ganz Europa „La nuova fase del diritto civile nei rapporti economic! e social!" an, umden Titel des reifen programmatischen Werkes desselben Cimbalis aus demJahre 1884“^ zu gebrauchen. Die Zivilisten ganz Europas sind von einer sozialen und ökonomischen Landschaft umgeben, die sich verändert und verkompliziert: in den achtziger Jahren ist die einfache Welt von gestern nunmehr die komplexe Welt von heute geworden, nur Blinde und Taube können davon keine Kenntnis nehmen. Es verkompliziert sich die Welt der Subjekte und der Giiter. Es taucht die nicht nur rhetorische Verdammung der Abstraktheit der biirgerlichen Modelle und seiner pseudo-befreienden Errungenschaften auf, und an der sozialen und Juristischen Oberfläche sieht man konkrete Subjekte — Unternehmer, Arbeiter, arbeitende Frauen und Kinder — die die „neue Phase" in Betracht zieht und ihnen Wert gibt. Man nimmt desweiteren ein immer dichteres Gewimmel von intermediären Gemeinschaften wahr und es zeichnet sich eine daraus resultierende Verschiebung der Gravitationsachse der gesamten sozio-juristischen Ordnung auf diese zu ab. Die aufklärerische Abscheu fiir juristische Personen, die die Aufklärung intakt der französischen Kodifikation iibergeben hat und die die einheitliche italienische Kodifikation von 1865 nur miihsamiiberwand, wird gegenstandslos gegeniiber dem Gedanken einer neuen Bevölkerung nichtphysischer Subjekte, gesellschaftlicher und moralischer Körper, die dazu bestimmt sind, sich zu vervielfältigen und die Nervenknoten des ökonomischen und juristischen Kreislaufes zu besetzen, der sich nicht mehr in einemstaatlichen Monolithen auflösen kann, sondern vielmehr in einer komplexen, pluralistischen Organisation. Man fiige die Vermehrung des Giiterinventars hinzu: nicht mehr blofi Grundbesitz und Immobilien, sondern hauptsächlich bewegliche Giiter, nicht nur materielle Gtiter, sondern auch immaterielle Giiter, mit einer Verbreitung des Kredits und der immer häufiger benutzten Kreditbriefe und des Geldumlaufs; man fuge noch die Notwendigkeit differenzierter Statuten fiir einige Giiter hinzu, mit der daraus folgenden differenzierten Regelung von Ordnungen und Pflege. Die Machtlosigkeit der Gesetze — nicht nur des einheitlichen allgemeinen Gesetzbuchs von 1865, sondern auch jene Spezialgesetze die der italienische Gesetzgeber in immer gröfierer Zahl zu produzieren begann —verläfit die theoretischen Seiten der Juristen und erscheint als effektiver Umstand — effektiv und negativ - des sozialen Lebens des Landes. Das alte Monopol und die alte Enteignung, die vom juristischen Absolutismus vorgenommen worden war, enthiillten sich als unfähig, die immer mehr fiber die Ufer tretende Realität zu ordnen, weil sie immer komplexer wird. Es taucht die Idee auf, auf Quellenebene Rechtsprechung und Doktrin in ihrem Kleid als „Interpretatio" Jetzt in: E.C., Opere complete, I, Turin, Utet, 1895. 47

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