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Juristischer Absolutismus und Privatrecht im19. Jahrhundert Paolo Grossi Vor nur drei Jahren waren wir vollauf damit beschäftigt, die 200Jahresfeier der französischen Revolution zu begehen, und die wiederholt auf uns einhämmernden Predigten, die, in Paris wie in ganz Europa, von Rechts wie von Links, sich der Erneuerung alter und leicht abgenutzter apologetischer Schreine gewidmet haben, klingen fast noch in unseren Ohren wieder. Die Juristen, von ihremStåndpunkt aus, haben es natiirlich nicht versäumt, die extreme Wichtigkeit eines kapitalen Faktors fiir die Rechtsgeschichte zu unterstreichen; jene neue Art und Weise das Problem der Quellen zu verstehen und zu lösen, das bald in der grofien allgemeinen Kodifikation miinden wiirde. Und man hat erneut, wie seit zwei Jahrhunderten, den grofien geschichtlichen Wert einer griindlich durchdachten, mit festen ideologischen Grundmauern und bewundernswertem technischen Wissen ausgestatteten einheitlichen Ordnung hervorgehoben. Dies ist ein Verhalten, das man sich heute, 200 Jahre nach Muratori und Beecaria, zugleich komplexer und kritischer gewiinscht hätte. Zweifelsohne hinterläf^t die Kodifikation in der Geschichte des konrinentalen Rechts tiefe Zeichen, zutiefst und unwiederbringlich ihre Kontinuität zerstörend, und sicherlich wird niemand die positiven Aspekte, auf denen richtigerweise bestånden wird, ernsthaft leugnen wollen. Trotzdem kann sich der Rechtshistoriker — der seinen beruflichen Anforderungen vollständig gerecht werden will — heute, nach einem so langen Zusammenleben mit der Kodifikation als normaler Quelle juristischer Regeln, nicht enthalten, sie als das zu nehmen und zu interpretieren, was sie, besonders anfangs, war und dann auch fortfuhr zu sein: eine enorme rechtspolitische Operation, ja sogar die kolossalste rechtspolitische Operation imgesamten Verlauf der westlichen Rechtsgeschichte. Sie stellt das definitive Siegel eines makroskopischen Resultats dar, das, positiv gewertet, die Festigung eines rigorosen Monopols darstellt, negativ gewertet aber eine brutale Enteignung ist. Der biirgerlichen Klasse mufi der nicht geringe Verdienst zuerkannt werden, als erste vollständig den politischen Wert des Rechts erkannt zu haben, den grofien verbindenden Faktor, den das Recht fiir die politische Macht darstellen kann; von daher kommt die ungewohnte Aufmerksamkeit fiir die juristische Dimension, eine bis dato ungewohnte Kontrolle der juristischen Produktion.

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