RS 19

Wer hat angst vor mdogma? schen Konstruktion der „öffentlichen Gewalt“ durch den Staatsbegriff, insbesondere in den zwei letzten Fassungen des sog. Rechtsstaates, der liberalen und der demokratischen. Spätestens seit 1922 — das ja kein ganz zufälliges Datum ist, obgleich es uns heute, nach den Ereignissen in Prag (1968) und in Moskau (1993), noch immer nicht gelungen ist, es von alien Seiten ausreichend zu beleuchten und zu erfassen — wurde in der Wissenschaft festgestellt, dab nun die dogmatische Theorie" in flagranti bei einem Doppelspiel ertappt ist: Sie operiert mit zwei voneinander verschiedenen, einander ausschliefienden Systemen und behauptet dennoch einen einheitlichen, identischen Gegenstand. Dies bedeutet nicht einfach, wie normalerweise mit zu grober Vereinfachung angenommen wird, dal? „Dogmen Lehr- und Glaubenssätze, vorausgesetzte Wahrheiten und festgeschriebene Meinungen seien, die sich der Kritik entziehen“.’° Der Sinn ist vielmehr, dal? alien Anderungen der juristischen Mentalität und Begrifflichkeit zumTrotz, der historische Ursprung eines Dogmas als in gewissem Mal?e verbleibende Denkstruktur eine dauerhafte und oft unmerkliche Wirkung auf die weitere Ausarbeitung des Begriffes ausiiben darf. Dieser posthumen Ausstrahlung kommt eine ganz wichtige Besonderheit zu: sie ist zunächst nur aus einem historischen Umbruch verständlich und gleichzeitig wirksam. Anders ausgedriickt: die Dogmatik braucht paradoxerweise Revolutionen, religiöse Reformation — kurzum, geschichtliche Umwälzungen aller Art als ihren Ausgangspunkt, sie kann jedoch während derselben nicht arbeiten. Auch unsere möderne öffentlichrechtliche Staatsrechtsdogmatik hat einen solchen Bruch erlebt und bearbeitet; vor demselben waren in der Tat die dogmatischen Denkstrukturen völlig ungeeignet, den Staatsbegriff im modernen Sinn zu produzieren: „Unde cognoscitur, communemhumani generis in hac civili vitambeatitudinem esse ultimum, rempublicarum finem, qui respublicas instruat et metiatur, ponatque limites, quibus definita sit imperii politici potestas, nec possit imperando progredi longius, quam hic finis patiatur, nisi velit in naturam impingere. Etenim ut in contemplationibus subjectum adaequationis, sic finis in practicis disciplmis affectiones et qualitates determinat, ac quasi circumsepit“.‘' Demgegeniiber ist der Bruch gerade von der Ratio-Status-Lehre vollzogen worden,“- die, indem sie die politische Macht nicht etwa von ihren alten Fes19 « 19 H. Kelsen, Der soziologische und der juristische Staatsbegriff. Kritische Untersucbung des Verhältnisses von Staat und Recht, Tubingen, 1922, S. 136. Vgl. J. Harenburg, Die Rechtsdogmatik zwischen Wissenschaft und Praxis, Stuttgart, 1986, S. 94. J. Lampadius, Tractatus de Republica Romano-Germanica, S. 12—13, in: Epitome jurisprudentiae publicae universae, ejusdem methodum materiarum sub eadem contentarum dispositionem, definitiones, divisiones . . . conscripta et praemissa a Georgio Braudlacht Westph., Arnstadiae, 1666. Dazu noch treffend H. Kelsen, a. a. O., S. 137: „Das unter dem Namen „Staat“ zusammengefalste Normensystem will gegen die iiberkommene Rechts-(und „Staats“-)verfassung dem

RkJQdWJsaXNoZXIy MjYyNDk=