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Rechtsfinheit durchrechtsprechung? 127 kommt, auch Juristenrecht oder Recht der Praxis nennen . . Die enge Verkniipfung von Rechtswissenschaft und Rechtsprechung, die vor dem Hintergrund des durch das römisch-kanonische Recht gebildeten gemeinen Rechts zu sehen ist, konnte mit der Gesetzgebung eine Trias der Rechtsquellen bilden. Diese hat Rudhart 1812 in seiner Enzyklopädie als Ausdruck der Rechtsidee schlechthin definiert, die sich „in einer dreyfachen Richtung“ äulJere: “1) durch die Legislation, (oder eigentlich das Gesetzbuch); 2) durch die Doctrin, vvelche sich mit der Legislation beschäftigt; 3) durch die gleichförmige Anwendung des Gesetzes auf Rechtsstreite (Jurisprudenz).**^’ Galt das Gesetz unstreitig als allgemeinverbindliche Rechtsquelle, so waren fiir Rudhart das, „was die Doctrin fixirt“ und was „durch eine fortlaufende gleichförmige Anwendung der Gerichte neue Festigkeit“ erhält, „eine, wenn gleich nicht so reichliche Rechtsquelle . . ., als das Gesetzbuch".Entscheidend ist hier, dal? diese drei Rechtsquellen nicht isoliert betrachtet, sondern in ein einander bedingendes, wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis gestellt werden, das durch den Primat des Gesetzes gekennzeichnet ist. Qualitäten bzw. Mängel des Gesetzes bestimmen wdederum die Aufgaben, den Rang und die Funktion der beiden anderen Rechtsquellen, namlich der Doktrin und der Rechtsprechung. So entsteht nach dem Prinzip der kommunizierenden Röhren ein System wechselnder Dominanzen, das Rudhart das „wechselweise Vorherrschen und Zuriicktreten der Legislation, Doctrin und Jurisprudenz" nennt.^"* Er erläutert dazu: “Legislation, Doctrin und Jurisprudenz sind die drey Weisen der Entwicklung der Rechtsidee, und wenn in einem Zeitraume eines derselben in den Hintergrund tritt, so sind dagegen die beyden andern desto mehr gehoben. Wenn die gesetzgebende Gewalt keine Thätigkeit äussert, oder hinter dem Zeitalter zuriick bleibt, so bilden sich die Rechtsinstitute durch die Gerichte und die Werke der Rechtsgelehrten fort, und diesen dagegen ist die Sphäre wiederum beengt, wenn das Gesetzbuch sich in consecutorischen Normen und doctrinellen Erläuterungen dreht. Aus diesem so definierten Verhältnis der Rechtswissenschaft zur praktischen Jurisprudenz — nämlich zu Gesetzgebung und richterlicher Gesetzesanwendung — ergibt sich zugleich, dal? die Möglichkeit, eine Rechtseinheit durch Rechtsprechung zu schaffen, sehr schwanken kann. Die theoretische VorausG. 1^ Puclit.i, Pandekten, 9. Aufl., cd. A. F. Rudorff, Leipzig 1863, p. 30; cf. auch G. F. Puchta, Lehrbuch der Pandekten, Leipzig 1838, p. 14: „So entsteht durch die Wissenschaft selbst Recht, welches sich in ihren Bekennern, den Juristen, und deren theils literarischer, theils praktischer Thätigkeit (Praxis, Gerichtsgebrauch, usus fori, Präjudicien) darstellt." 1. Rudhart, Encyclopaedic* und Methodologie der Rechtswissenschaft, Wurzburg 1812, p. 60, ebenso p. 65. Rudhart, Encyclopaedie (Anni. 62), p. 66. *’■' Rudhart, E.ncyclopaedie (Anm. 62), p. 69. Wie Anm. 64. “65

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