RS 16

84 deshalb vor- und antistaatliche Freiheitsfelder abgesteckt, Freiheiten, die nun mit den Adjektiven „unveräufierlich“, „absolut“, „unbedingt“, „unverlierbar“, „unabänderlich“, „ursprunglich“ und „heilig“ versehen wurden/ Aus diesen theoretischen Wurzein entstanden, lange vor der Französischen Revolution, mehr oder weniger systematische Kataloge von absoluten Rechten. Sie begannen mit dem Recht auf die eigene Existenz, auf Leben und körperliche Unantastbarkeit. Eng verwandt damit ist die Bewegungs-, insbesondere die Auswanderungsfreiheit, das jus emigrandi. Sie fahren dann fort mit den Rechten der Glaubens- und Gewissensfreiheit, mit der Freiheit des Denkens und Sprechens, Schreibens und Druckens, mit den Rechten auf freie Berufswahl, auf freien Vertragsschlufi sowie mit dem Schutz des Eigentums und des Erbrechts. Weil die Vertragsfreiheit aber theoretisch auch das Recht umfafite, auf diese Garantien wieder zu verzichten, akzentuierte man sehr stark ihre „Unveräufierlichkeit" und „Unzerbrechlichkeit“. Damit war auch die politische Richtung klar: Wenn der Staat die körperliche Integrität achten mufite und der einzelne auf sie nicht verzichten durfte, wurde die Folter legitimationsbediirftig. Wenn die persönliche Freiheit „angeboren“ und „unveräufierlich“ war, gab es keine Leibeigenschaft mehr. Wenn Religions- und Gewissensfreiheit galten, wurde die Macht der Kirchen reduziert. Wenn Gleichheit herrschte, jeder Mensch jeden Beruf ergreifen konnte und eine „allgemeine Gewerbefreiheit" eingefiihrt wurde, dann fielen alle Beschrankungen der Ziinfte weg, dieJudenemanzipation mufite vorankommen und die ökonomischen Kräfte der Gesellschaft konnten sich entfalten. Wenn schlief?lich Eigentumund Erbrecht gegen Willkiir gesichert waren, konnte der Mensch den Lohn seiner Arbeit geniefien und an die nächste Generation iibertragen. Alle diese naturrechtlichen Positionen zielten also auf politisch kritisierte Punkte des Ancien Régime. Sie waren Antworten auf täglich erlebte Unfreiheiten, fiber die man räsonnierte. Raisonnement aber bedeutet, daft die Säure des Zweifels die Legitimation des status quo angreift. Was sich vor dem Licht der Vernunft nicht rechtfertigen kann, mufi verschwinden — so lautet das rationalistische Credo. Das Gebäude des Ancien Régime ist tatsächlich erst in Gedanken erschiittert und dann in der Realität zerstört bzw. reformistisch verändert worden. Die „Verfassungsideale der biirgerlichen Revolution" sind vor åer Revolution durchdacht und ausgesprochen worden. je mehr der Staat die Aura der gottgewollten Ordnung verlor und als rational konstruierte Maschine verstanden wurde, desto mehr waren auch alle „Vernunftigen“ — ohne Rvicksicht auf Standesschranken — aufgerufen, fiber ihn nachzudenken und Verbesserungsvorschläge zu machen. Wenn der Staatszweck nun lautete, gröfitmögliche Glfickseligkeit und Freiheit ffir alle zu erreichen, dann war nicht mehr einzuse- ^ Klippel, 121 m.w.N.

RkJQdWJsaXNoZXIy MjYyNDk=