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145 durchgängig ist zur offenen Forschungsfrage geworden, was bis vor wenigen Jahrzehnten als gesicherte oder doch wahrscheinliche Erkenntnis galt. Eindrucksvoll hat dies jiingst Karl Kroeschell vorgefiihrt.^^ Erklären lä£t sich diese Entwicklung nicht etwa allein aus der Erschliefiung neuer Quellenmaterialien oder aus kontinuierlichem Fortschreiten in der quellenkritischen Arbeit. Die Griinde liegen wiederum tiefer und werden letztlich in der Erschiitterung, wenn nicht dem Verlust der geistigen Grundlagen fiir die ,,klassischen” Lehren der Germanistik zu suchen sein. Uns fremd geworden sind nicht nur Vorverständnis, Motive und rechtspolitische Impulse bei der Auseinandersetzung mit zahlreichen eimelnen Forschungsthemen im 19. Jahrhundert (etwa die Diskussion um die Einfiihrung der Zivilehe imRahmen des Kulturkampfes als Hintergrund der — fiir die weitere rechtshistorische Arbeit wegweisenden — Schriften von Sohm und Friedherg‘*° zur Eheschliefiung bei den Germanen). Verändert hat sich dariiber hinaus der gesamte wissenschaftliche Kontext, aus dem das Fach einst seine Erkenntnisziele bestimmte und seine Erklärungsmuster bezog. Um nur drei Faktoren dieses Wandels auf ganz unterschiedlichen Betrachtungsebenen anzudeuten: Wissenschaftstheoretisch und wissenschaftssystematisch schien es während der Bliitezeit der Germanistik in der Flistorischen Rechtsschule noch nahezu selbstverständlich, daB sich an die historische Forschung eine pragmatische Gestaltungsbedeutung in Hinblick auf das geltende Recht kniipfte.'*' Diese Verkniipfung ist aber seit dem späten 19. Jahrhundert fiir die Geschichtswissenschaft unter demEinflufi des Neukantianismus zunehmend fragwiirdig und fiir die Rechtswissenschaft mit der Enthistorisierung des Rechtspositivismus und dem Ubergang zu Begriffsjurisprudenz und Gesetzespositivismus weithin entbehrlich geworden. Aus der Perspektive der Rechtspraxis markiert hier das Inkrafttreten des BGB im Jahre 1900 den sich innerhalb der Wissenschaft schon zuvor abzeichnenden Bruch mit den Konzeptionen der Historischen Rechtsschule. - Methodisch entzog sich der Grofiteil der rechtshistorischen Germanistik im Verlaufe des 19. Jahrhunderts nicht dem Bann jenes strengen Systemstrebens, das zunächst eher dem vehement abgelehnten Vernunftsrecht in: Vorträge und Forschungen 12 (1968), S. 309 ff.; ferner G. Köbler, Das Recht imfriihen Mittelalter, 1971. K. Kroeschell, Germanisches Recht als Forschungsproblem, in: Festschrift fiir Fl. Thieme, 1986, S. 3 ff.; vgl. zuvor schon ders., Verfassungsgeschichte und Rechtsgeschichte des Mittelalters, in: Der Staat, Beiheft 6, 1983, S. 58 ff. (inbes. Anm. 109). E. Fricdberg, Verlobung und Trauung, 1876; R. Sohm, Das Recht der EheschlieBung aus dem deutschen und kanon. Recht geschichthch entwickelt, 1875. ■" Vgl. hierzu und zu dem späteren Wandel im Uberblick F. Wieacker, Privatrechtsgeschichte der Neuzeit, 2. Aufl. 1967, S. 416 ff. m.w.N.; /7. Schlosser, Das ,,wissenschaftliche Prinzip” der germanistischen Privatrechtssysteme, in: Beiträge zur Rechtsgeschichte, Gedächtnisschrift fur H. Conrad, 1979, S. 491 ff.

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