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118 nen Historismus und seiner Folgelast, dem Relativismus, - im allgemeinen ebensowohl wie imHinblick auf die Wissenschaft selbst. Der Historismus der Möderne entspricht der Struktur moderner Wissenschaft, so wie sie Weber skizziert hat: die universale Historisierung repräsentiert die Unendlichkeit der Wissenschaft, die eben dieser ihrer Unendlichkeit wegen der Wertsetzungen des ,Lebens’ bedarf. Aber die Geschichtswissenschaft als ,,Wissenschaft des universalen Werdens” vernichtet diese Werte nicht, weil diese jenseits der durch ihre Unendlichkeit begrenzten Wissenschaft liegen. Freilich kann man fragen, ob der Historismus heute iiberhaupt noch ein Problemdarstellt. Th. Schieder hat diese Frage verneint: ,,Der Historismus in seiner alten Form ist untergegangen”,^^ stellte Schieder 1965 fest. Ebenso äul?erte sich unlängst H. Gollwitzer: der Historismus sei eine ,,abgeschlossene Gröfie”, er gehöre „der Geschichte an”; eine „aktuelle Herausforderung” stelle er jedenfalls nicht mehr dar.^^ Diese These sei mit drei Hinweisen in Frage gestelit. (1) In seinen Reflexionen iiber kulturelle und politische Funktionen des historischen Bewufttseins hat Hermann Liibbe jiingst, sicher mit Recht, vom „expansiven Historismus unserer Gegenwartskultur” gesprochen. ,,Noch nie war eine kulturelle Gegenwart vergangenheitsbezogener als unsere eigene”. Die Griinde dafiir sah Liibbe in der »Erfahrung kultureller Dynamik”. ,,Unsere Vergangenheitszugewandtheit, unsere bliihende historische Kultur erfiillt Funktionen der Kompensation der belastenden Erfahrungen eines änderungstempobedingten kulturellen Vertrauensschwundes. Historistisch geprägte Vergangenheitszugewandheit ist insofern, als Element unserer Gegenwartskultur, selber gerade nicht ein Relikt vormoderner Epochen unserer Geschichte. Der Sachzusammenhang liegt grundsätzlich änders: Mit der Dynamik zivilisatorischer Modernisierungsprozesse wächst zugleich komplementär die Nötigkeit von Anstrengungen zur Vergangenheitsgegenwärtigung an”.'’* Mit dieser Feststellung hat Liibbe den schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts von Jacob Burckhardt festgehaltenen Sachverhaltfiir das Ende des 20.Jahrhunderts erneut bestätigt: dal? der Historismus eine fiir die Möderne spezifische Erscheinung ist und dal? er seine Wurzeln hat in jenen Traditionsbriichen, in denen das möderne Denken die Konstituierung der Möderne als geschichtlicher Epoche sieht. Von einem,Ende’ des Historismus kann also offenbar keine Rede sein. (2) Dieser Sachverhalt wird derzeit besonders deutlich im Zusammenhang von Denkmalpflege und Stadterneuerung, worauf auch Liibbe hinweist.'°^ Der Th. Schieder, Geschichte als Wissenschaft. Eine Einfiihrung, 1965, 2 Aufe. 1968, S. 151 f. El. Gollwitzer, Historismus als kultur- und sozialgeschichtliche Bewegung, in: Geschichte, Politik und ihre Didaktik 10 (1982), S. 5 ff., hier S. 14. H. Lubbe, Die Gegenwart der Vergangenheit. Kulturelle und politische Funktionen des historischen Bewufitseins, 1985, S. 11, 13, 15. ’’ S. oben S. 97. Llbbe (wie Anm. 98), S. 11 ff.

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