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113 radikaler als Troeltsch, ist ein Sprung, der iiber den Abgrund hinweg in den Bereich des Glaubens und damit endgiiltig aus dem Bereich der Wissenschaft herausfuhrt”/° Mit seiner in demVortrag »Wissenschaft als Beruf’ getroffenen Feststellung, dafi „die Spannung zwischen der Wertsphäre der »Wissenschaft’ und der des religiösen Heils uniiberbruckbar” sei,^' sei Weber gewissermafien ein »»Kierkegaard mit umgekehrtemVorzeichen”/' In der Tat: Webers Thema ist gerade nicht die Reflexion iiber die Notwendigkeit des Sprungs» sein Thema ist vielmehr die Reflexion iiber die feine Linie» die Wissenschaft und Leben trennt und iiber die Grenzen der immanenten unendlichen Wissenschaften hinaus den Blick freigibt auf andere Bereiche ausserhalb jenes Bereiches wissenschaftlicher Erkenntnis. Die Erkenntnis der Grenzen der Wissenschaft beruht bei Max Weber» wie oben erörtert» auf der Einsicht in den Unendlichkeits-Charakter des wissenschaftlichen Denkens. In der immanenten Unendlichkeit der Wissenschaft liegen die Griinde fiir ihre Begrenztheit. Die Erkenntnis der Grenzen der Wissenschaft gegeniiber anderen Bereichen bedeutet aber zugleich auch die Einsicht in die Berechtigtheit jener anderen Bereiche» des »Lebens’ als dem Bereich des Entscheidens und Handelns» oder der Kunst und der Religion» gleichgiiltig ob man diese nun betreten möchte oder nicht. Die Reflexion iiber alle diese Themen ist bei Max Weber in der Tradition der europäischen Wissenschaftsphilosophie und der Theorie wissenschaftlicher Erkenntnis verwurzelt» weit iiber den Beginn der Möderne zuriick» in jener Tradition der Reflexion iiber Wissenschaft nämlich» die im Nominalismus des Spätmittelalters begriindet ist und die in der Erkenntnistheorie Kants am Ende des IS.Jahrhunderts ihre fiir die Möderne repräsentative und konstitutive Zusammenfassung erfahren hat.^^ Auf diese Wurzeln hat Max Weber selbst deutlich genug hingewiesen.^"* Die Erkenntnis der Unendlichkeit der wissenschaftlich erfahrbaren Welt hat bereits in dieser älteren Tradition zur Reflexion iiber die Grenzen der Wissenschaft gefiihrt» die sich in der Definition der Wissenschaft als einer »docta ignorantia’ (Nikolaus von Kues)» als einer »ignorance savante’ (Pascal), d.h. einer wissenden Unwissenheit ausdriickt.^^ Als unwissend Ebd. S. 204. Wfbfr, Wissenschaft als Beruf, S. 611. Kracaufr, S. 204. Dazu vor allem E. Cassirfr, Das Erkenntnisproblemin der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit, 4 Bde. 1922, 1923, 1957, Nachdr. 1973/74), und H. Rombach, Substanz, System, Struktur. Die Ontologie des Funktionalismus und der philooOphische Hintergrund der modernen Wissenschaft, 2 Bde. (1981), bes. Bd. 2, S. 395 ff. S. das Zitat oben Anm. 40. Rombach, Bd. 1, S. 150 ff. und 206 ff. sowie Bd. 2, S. 111 ff. und 147 ff., mit der Feststellung: „Auch Kants ,Kntizismus’ lebt aus der Idee der docta ignorantia”, und: „Pascal steht in der Mitte zwischen Cusanus und Kant. Diese beiden markieren die Endpunkte einer Entwicklung, die einen grol5en Atemzug der Geistesgeschichte darstellt” (S. 146 Anm. 49).

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