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105 sei ,,sinnlos”: „Es gibt keine schlechthin ,objektive’ wissenschaftliche Analyse des Kulturlebens”.^^ Denn einerseits ist, wie Max Weber erläutert, der Strom des Geschehens „endlos” und ,,unermefilich”, und andererseits sind die Betrachtungsweisen des Geschehens immer wieder neue und andere: „immer neu und änders gefärbt bilden sich die Kulturprobleme, welche die Menschen bewegen”. Deshalb bleibt „der Umkreis dessen, was aus jenem stets gleich unendlichen Strome des Individuellen Sinn und Bedeutung fiir uns erhält, ,historisches Individuum’ wird”, stets fliissig; denn ,,es wechseln die Gedankenzusammenhänge, unter denen es betrachtet und wissenschaftlich erfafit wird”, und zwar wechseln sie in unendlicher Vielfalt, „Die Ausgangspunkte der Kulturwissenschaften bleiben damit wandelbar in die grenzenlose Zukunft hinein”. Deshalb wäre „ein Systemder Kulturwissenschaften” im Sinne einer ,,definitiven, objektiv giiltigen, systematisierenden Fixierung der Fragen und Gebiete . . . ein Unsinn in sich”.^* Wir finden also hier, wie bei Nietzsche, als grundlegende Charakterisierung der historischen Erkenntnis den Gedanken der Unendlichkeit. Unendlichkeits-Charakter hat die Geschichtswissenschaft aber in doppelter Hinsicht: einmal imBlick auf die nach alien Seiten ins Unendliche gehende geschichtliche Wirklichkeit, im Hinblick auf den „endlosen Strom des unermefilichen Geschehens”; zumanderen imBlick auf die Unendlichkeit immer neuer Aspekte, begrifflicher Prägungen und Fragestellungen, die durch den ständigen Wandel der Geschichte in einer jeweiligen Gegenwart und in der Vielheit möglicher Gegenwarten entwickelt bzw. gestellt werden können. Anders ausgedriickt: die Bildung der Begriffe hängt von der Stellung der Probleme ab, die Probleme aber wandeln sich mit dem Inhalt der Kultur, so dafi sich daraus ebensowohl die Vergänglichkeit aller Synthesen als auch zugleich die Unvermeidlichkeit immer neuer Synthesen und immer neuer idealtypischer Konstruktionen ergibt.^"^ Mit dieser Auffassung stellte sich Max Weber bewufit auf den Boden der ,,auf Kant zuriickgehenden modernen Erkenntnislehre”, in einem ebenso ausdriicklichen Gegensatz zur antik-scholastischen Erkenntnislehre, die, wie er schreibt, „der Masse der Spezialarbeiter der historischen Schule noch tief im Blute” stecke. Begriffe sind fiir Max Weber deshalb nicht ,,Abbilder der ,objektiven’ Wirklichkeit”, sondern ,,gedankliche Mittel zumZweck der geistigen Beherrschung des empirisch Gegebenen”, „Mittel zumZweck der Erkenntnis der unter individuellen Gesichtspunkten bedeutsamen Zusammenhänge”.'*° Gerade aus der Einsicht in „die intensive Unendlichkeit alles empirisch gegebenen Mannigfaltigen”, in die ,,Unendlichkeit jedes konkreten MannigfaltiM. Weber, Die ,,Objektivität” sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis (1904), in: ders., Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 1982, S. 184 und 170. Ebd. S. 184. Ebd. S. 206 f. Ebd. S. 208 f. 37

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