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100 schlechthin alles unter dem Aspekt des Werdens und damit also auch des Vergehens. Die notwendige Folge sei, dal? diese Wissenschaft nichts erzeugt, ja, nichts anderes erzeugen kann als „hoffnungslose, skeptische Unendlichkeit”. Dies sei die unausweichliche Folge der „Forderung, dal? die Historie Wissenschaft sein soil”. Denn die Geschichtswissenschaft sieht „uberall ein Gewordenes, ein Historisches und nirgends ein Seiendes, Ewiges” und sie werfe den Menschen deshalb ,,in ein unendlich-unbegrenztes Lichtwellen-Meer des erkannten Werdens” hinein.'^ Wer aber iiberall „ein Werden” sieht, der „verliert sich in diesem Strome des Werdens”.Das eklatante Beispiel dieses Sachverhalts liefere die Geschichte des Christentums und seiner historischen Erforschung. Denn der „theologus liberalis vulgaris”, der das Christentumeiner historisierenden oder gar vollkommen historischen Behandlung unterwerfe, lose das Christentumauf ,,in reines Wissen umdas Christentum” und vernichte es eben „dadurch”.“' Hier ist der Punkt, in dem fiir Nietzsche das Wertproblem unabweislich zutage tritt. Die Geschichtswissenschaft als „Wissenschaft des universalen Werdens” unterzieht alle Werte einer durchgängigen Flistorisierung und vernichtet sie dadurch. Ill Nietzsches Antwort auf das von ihm erkannte Problemliegt darin, dal? er zwei MaEnahmen gegen die „historische Krankheit”^^ empfiehlt, nämlich erstens die strenge Begrenzung des Historischen und zweitens die Forderung, dal? die Historie auch in den engen ihr zu setzenden Grenzen aufhören miisse, eine Wissenschaft zu sein. Die Begrenzung des Historischen habe dadurch zu geschehen, dal? demHistorischen das Unhistorische ebensowohl wie das Uberhistorische entgegengestellt werde. Das Unhistorische ist das Vergessen, „die Kunst und Kraft vergessen zu können”. Das Uberhistorische aber sind jene „Mächte, die den Blick von dem Werden ablenken” und hinlenken zum „Ewigen und Gleichbedeutenden”. Diese Mächte sind die Kunst und die Religion.’^ Es bleibt also Historie, — aber, und dies ist Nietzsches zweite Forderung: sie mul? aufhören, eine Wissenschaft zu sein, um dadurch in den Dienst des Lebens treten zu können. Als antiquarische Historie dient sie dem Bewahren und Verehren. Als monumentalische Historie dient sie, indem sie die ,,Vorbilder, Lehrer, Tröster” zeigt. Und schliel?lich dient sie dem Leben dadurch, dal? sie als kritische Historie die Vergangenheit zerbricht und auflöst. Wichtig ist der ’’ Ebd. S. 267f., 320, 326. ’=> Ebd. S. 246. ’’ Ebd. S. 293. ” Ebd. S. 325. Ebd. S. 326. Die folgenden Zitate ebd. S. 254.

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