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89 Gesellschaft reduziert werden kann. Eine solche Rechtstheorie ware zu abstrakt, umfiir empirische Untersuchungen des gesamten Rechtslebens brauchbar sein zu können. Oder, mit anderen Worten: Das Netz einer allzu abstrakten Theorie hat zu grofie Maschen, umalle Einzelheiten fangen zu können. Man kann das hervorragende Werk ,,Die Rechtsinstitute des Privatrechts und ihre soziale Funktion” von Karl Renner als Beispiel heranziehen. Es handelt sich hier, meiner Meinung nach, umeine sehr interessante Arbeit tiber das Verhältnis zwischen Recht und sozialen Faktoren. Renners Untersuchung ist auf das Verstehen der wechselseitigen Beziehungen zwischen den Rechtsinstituten und den ökonomischen Verhältnissen, zwischen Uberbau und Unterbau im materialistischen Sinne, hin angelegt. Sein Hauptinteresse gilt den sozialen Funktionen des Rechts, was von ihmals ,,dle Rolle des Rechtsinstituts in der Okonomie der Gesellschaft” verstanden wird. Renner findet, wenig iiberraschend, dafi Ursachen oder Griinde fiir veränderte Funktionen des Rechts imaufierrechtlichen Bereich zu suchen sind. Es läfit sich aber die Frage stellen, was Renner damit erklärt hat. Seine konkrete Untersuchung beschreibt die Funktion des Eigentumsinstitutes, und er findet — ebenfalls kaum iiberraschend - dal^ das Eigentumsinstitut folgende sozialen Verhältnisse beeinflufit: 1. die Arbeitsorganisation, also die organisatorische Funktion des Rechts, 2. die Verteilung der Mittel und Möglichkeiten von Natur und Technik, also die ökonomische Funktion des Rechts, 3. die Verteilung der Produktionsergebnisse oder des Mehrwerts, also die verteilende Funktion des Rechts. Renner hat seine theoretischen Positionen später weiterentwickelt. Als guter Materialist war er der Meinung, dafi das Recht nicht die Gesellschaft formt, sondern dafi der Gesetzgeber fast immer durch die Entwicklung und von den Bestrebungen der Gesellschaft bestimmt wird. Das Heranwachsen eines neuen Rechts ist immer ein Prozefi, nicht das Werk einiger Individuen. Neue Klassen steigen nach oben und erzwingen neues Recht. Dieser Prozefi könnte als Klassenkampf verstanden werden, der sich als täglicher Kampf in den Fabriken und am Arbeitsmarkt fortsetzt. Der Sieger in diesem Kampf stellt Renners Meinung nach die Rechtsregeln fest, und danach gehe der Kampf um die Durchfiihrung des neuen Rechts weiter. Schnittpunkte eines jeden politischen Kampfes, schreibt Renner, sind die Gesetzgebung, die Rechtssprechung und die Verwaltung in konkreten Fragen. Anfangs, meinte er, wurde die Biirgerklasse zu Reformen gezwungen, um Aufstand und Aufruhr zu entgehen. Nun habe aber die Arbeiterklasse mittels des Stimmrechts die Macht fiber die Gesetzgebung ubernommen. Das Modell, demer folgt, ist in etwa das Folgende: Veränderungen in den Wirtschaftsstrukturen der Gesellschaft fiihren zu Klassenbestrebungen, die Veränderungen des Rechts mit sich bringen, was am Ende wiederum zu ökonomischen Wirkungen fiihrt.

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