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Hans Thieme 12 noch dem Verhältnis von Eltern und Kindern zu! Auch dies ein äuBerst aktuelles Thema —in der Zeit der ,alternativen' Lebensweise vieler junger Leute, der ,Rocker*, ,Puncs‘ und ,Aussteiger‘, der ,Ausgeflippten‘, Hausbesetzer und Demonstranten. Was sagt uns Pufendorf hierzu? Er geht aus von demalten, römischen Begriff der patria potestas, der väterlichen, später elterlichen Gewalt, wie es im deutschen Biirgerlichen Gesetzbuch (§ 1626) noch bis 1980 hieB, bis zur Ersetzung diese Ausdrucks durch ,elterliche Sorge*, weil unsere Gesetzgeber und Politiker den Unterschied von p o t e st a s, als positiv zu bewertender, also auch die Fiirsorge mit umfassender, und V i o 1 e n t i a, als negativer Gewalt nicht mehr begriffen. Bei Pufendorf also heiBt es, die potestas patria-" sei die älteste und geheiligteste Herrschaft unter den Menschen; sie beruhe auf der lex naturalis, welche den Eltern die Fiirsorge, die cura liberorum auferlegt, aber auch auf einem stillschweigenden Einverstandnis, einem tacitus consensus der Kinder, die bei erlangter Urteilsfähigkeit erkennen wiirden, daB sie ohne jene Fursorge der Eltern nicht ernährt werden und zu niitzlichen Gliedern der menschlichen Gesellschaft heranwachsen könnten. Es sei die Pflicht der Eltern, sagt Pufendorf,^® ihre Kinder zu ernähren, Körper und Geist heranzubilden, sodaB sie rechtschaffen, verständig und wohlerzogen werden. Umgekehrt sei es die Pflicht der Kinder,^® ihre Eltern zu ehren, ihnen Anerkennung zu erweisen —nicht durch äuBerliches Gehabe, non externis tantum signis, sondern weit mehr durch innere Wertschatzung, Gehorsam, Hilfe je nach ihrem Vermogen, zumal wenn die Eltern durch Alter oder Bediirftigkeit dessen bediirften. Ebenso seien die Kinder auch verpflichtet, ohne den Rat und die Zustimmung der Eltern keine weitreichenden Beschliisse zu fassen. Endlich sollten die Kinder Krankheit oder Mängel der Eltern, falls sich solche einstellten, geduldig ertragen. GewiB: auch dieses ,Modell* der Eltern-Kind-Beziehung entspricht nicht mehr voll unseren heutigen Vorstellungen. Aber enthält es nicht sehr vieles, was beherzigenswert erscheint auch fiir unsere Zeit? Hat eine unter solchen Gesichtspunkten geschehende Erziehung, hat eine in diesem Sinne geprägte Entwicklung der jungen Generation wirklich nur Schaden, Duckmausertum, Entscheidungsschwäche, Unselbständigkeit und wie die Vorwiirfe alle heiBen gestiftet? 1st das ,Anspruchsdenken* der Jungen gerechtfertigt, das Verlangen der Alteren dagegen nach ein wenig Rucksicht, Dankbarkeit und Hilfsbereitschaft von ihren Kindern nicht? Aber miissen wir uns nicht umgekehrt auch dem Vorwurf der jungen Generation stellen, unsere Gesellschaft lasse es an Mitmenschlichkeit, an Pufendorfs ,socialitas* fehlen in ihrem ,Konsumdenken* und habe damit eine Reihe von echten Wertcn zu stark ver27 DOHC 11,3,1. 28 DOHC 11,3,12. 29 DOHC 11,3,13.

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