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78 Dieses Faktum beleuchtet die Bedeutung des Zieles, das Kant verfolgte, als er die Schrift Der Streit der Fakultäten verfafite. Kant beabsichtigte nicht, den Zweikampf zwischen den Fakultäten aufzuheben, und damit auch nicht, die Einteilung in obere und untere Fakultäten zu beseitigen. Statt dessen lag der Zweck dieser Arbeit darin, die untere Fakultät mit einer Waffe zu versehen, die deren rechtmäfiige Stellung innerhalb der Universitätsorganisation garantieren sollte. Diese Waffe bildete der Argumentationsgrund der freien Wissenschaft. Auch innerhalb der, durch ihre wissenschaftliche Form freien, unteren Fakultät bekam dieser tiefgehende Konflikt zwischen apriorischer und aposteriorischer Erkenntnis einen spezifischen Ausdruck. Die philosophische Fakultät muBte, so wie die Universität im groBen, in zwei separate Abteilungen eingeteilt werden: „Die philosophische Fakultät enthält nun zwei Departemente, das eine der historischen Erkenntnis (wozu Geschichte, Erdbeschreibung, gelehrte Sprachkenntnis, Humanistik mit allem gehört, w'as die Naturkunde von empirischem Erkenntnis darbietet), das andere der reinen Vernunfterkenntnisse (reinen Mathematik und der reinen Philosophie, Metaphysik der Natur und der Sitten) und beide Teile der Gelehrsamkeit in ihrer wechselseitigen Beziehung aufeinander. Sie erstreckt sich eben darum auf alle Teile des menschlichen Wissens (mithin auch historisch iiber die obern Fakultäten), nur daft sie nicht alle (nämlich die eigentiimlichen Lehren oder Gebote der obern) zum Inhalte, sondern zum Gegenstande ihrer Priifung und Kritik in Absicht auf den Vorteil der Wissenschaften macht.“ Nach dem vorbezeichneten Zitat hat es den Anschein, als ob die Tätigkeit in der kantianisch konzipierten unteren Fakultät eine solche Mischung von verschiedenen Erkenntnisarten in sich schloB, der Kant selbst den Namen „MiBheirat“ gab. Innerhalb der philosophischen Fakultät sollten jedoch, nach Kants Auffassung, sowohl die apriorische - reine - Vernunftserkenntnis als auch die aposteriorische Objektserkenntnis miteinander auskommen können. Diese Eintracht zwischen philosophischer und historischer Erkenntnis war tatsächlich notwendig; nur durch eine Vereinigung, irgendeiner Art, zwischen den zwei Teilen der Erkenntnis konnte die Metaphysik den Anspruch erfiillen, die einheitschaffende Disziplin der Wissenschaft auszumachen. Durch die Kopplung der reinen Vernunftserkenntnis mit den historischen Erkenntnisarten innerhalb des Schutzbereichs der unteren Fakultät wurde mithin die kontrollierende Funktion der unteren Fakultät gegeniiber der Tätigkeit der oberen Fakultäten ermöglicht. Die, im besten Fall, relative Wissenschaftlichkeit der historischen Erkenntnis stand jedoch imdirekten Gegensatz zu der Tätigkeit, die in den philosophischen Disziplinen betrieben werden sollte. Die philosophische Kritik hatte ihre Grenzen. Die freie Fakultät war folglich nur zu einem gewissen Teil wissenschaftlich notwendig; man kann aus dem oben erwähnten Zitat herauslesen, AaO. S. 338.

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