RB 44

64 „Das erste Streben eines jeden, der die positive Wissenschaft des Rechts und des Staats selbst als ein Freier begreifen will, miiEte dieses seyn, sich dutch Philosophie und Geschichte die lebendige Anschauung der späteren Welt und der in ihr nothwendigen Formen des öffentlichen Lebens zu verschaffen: es ist nicht zu berechnen, welche Quelle der Bildung in dieser Wissenschaft eröffnet werden könnte, wenn sie mit unabhangigemGeiste, frei von der Beziehung auf den Gebranch und an sich behandelt wiirde." Schellings Absicht war, durch die Konstruktion einer Vernunft, die nicht fremd vor irgendeinem einzelnen Teil des grofien Systems der Wissenschaft stand, eine „kopernikanische“ Wende in jedem einzelnen Wissenschaftszweig zu ermöglichen. Die wissenschaftliche, und dadurch freie Bildung des Rechts, zu der die absolute Auffassung von der Rechtswissenschaft fiihren wiirde, setzte voraus, dafi die spezialwissenschaftliche Vernunft eine Methode gefunden hatte, alle Niitzlichkeitsargumentation aus ihremBereich auszusondern.'^’ Das Konzipieren dieser grundlegenden und theoretischen Voraussetzung, die jeder fachwissenschaftlichen Tätigkeit gemeinsam ist, bildete die vorderste Aufgabe der Philosophie. Der Kampf gegen den Empirismus mufite deswegen, nach Schellings Auffassung, von der Philosophie angefiihrt werden, denn „in der obersten Wissenschaft ist“ freilich „alles eins und urspriinglich verkniipft . . . und wenn sie in sich alle Gegensätze aufhebt, steht sich auch mit nichts anderem nach aufien in wahrhafter oder anderer Entgegensetzung, als welche die Unwissenschaftlichkeit, der Empirismus, oder eine oberflächliche Liebhaberei, ohne Gestalt und Ernst, machen mögen“.“°° Hingegen war es die Pflicht jeder speziellen Wissenschaft, die kopernikanische GroBtat durchzufiihren, die die einzelne Disziplin zu einer freien Wissenschaft erhob. Die wissenschaftliche Grundlage der historischen Erkenntnisarten - die Synthese zwischen der ideellen und der realen Einheit der Erkenntnis, die das Streben der Vernunft nach ,,Objektivwerden“ ausdriickte — konnte nicht durch die Philosophie entstehen, da diese den historischen Elementen der realen Wissenschaften direkt entgegengesetzt war.^°* Eine solche Vorstellung baut vielmehr, gemäfi Schelling, auf einem Mifiverständnis von der Natur und der Aufgabe der Philosophie auf: 198 AaO. S. 315. AaO. S. 237; „Die Bildung zumvernunftmäfiigen Denken, worunter ich freilich keine blols oberflächliche Angewöhnung, sondern eine in das Wesen der Menschen selbst iibergehende Bildung, die allein auch die acht wissenschaftliche ist, verstehe, ist auch die einzige zum vernunftmafiigen Flandeln; Zwecke, die aul^er dieser absoluten Sphäre scientifischer Ausbildung liegen, sind durch die erste Bestimmung der Akademien schon von ihnen ausgeschlossen“. 200 AaO. S. 279 f. 201 Vgl. aaO. S. 309: „Auch die wahre Historie beruht auf einer Synthesis des Gegebenen und Wirklichen mit dem Idealen, aber nicht durch [meine Hervorhebung] Philosophie, das diese die Wirklichkeit vielmehr aufhebt und ganz Ideal ist, Historie aber ganz in jener und doch zugleich ideal seyn soil".

RkJQdWJsaXNoZXIy MjYyNDk=