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54 Das wirkliche Wissen, da es successive Offenbarung des Urwissens ist, hat demnach nothwendig eine historische Seite . . Die blofi empirische Geschichte mufite durch die philosophische Methode zu wahrer historischer Erkenntnis qualifiziert werden. Nur der Stoff, der einen realen Ausdruck fiir eine apriorische Einheit gibt, gehörte zu der wissenschaftlich bearbeiteten Geschichte: „die wahre Historie beruht auf einer Synthesis des Gegebenen und Wirklichen mit demIdealen“.*^* Der empirische Erkenntnis war, angesichts der schöpferischen Kraft der absoluten Vernunft, ihr innerstes Geheimnis entrungen worden und dadurch hatte sich gezeigt, dafi sie den Weg zur Erkenntnis iiber die innere Ordnung der Dinge darstellte, die die Vernunft suchte. In der kontinuierlichen Dialektik zwischen dem notwendigen philosophischen und dem historischen Wesen der Erkenntnis wurde folglich Wissen hervorgebracht, das die philosophische Notwendigkeit der Erkenntnis in historischer Vielfalt ausdriickte.'^^ Die wahre historische Qualität, im Gegensatz zu der blofi empirischen Geschichte,erwies sich, betrachtet aus dem Blickwinkel des Allgemeinen, als das Besondere. Die historische Seite der Erkenntnis wurde von einem erkenntnistheoretisch bestimmten Objekt gebildet, einer in sich begrenzten Einheit. Die Frage der Relation der historisch geprägten Erkenntnisse zu der apriorischen Erkenntniseinheit hatte damit eine weitere Beziehung bekommen als es zunächst erschien. Die historische Erkenntnis stellte nämlich in der allgemeinsten Bedeutung den Inbegriff aller Objekterkenntnis dar. Die Frage der Wissenschaftlichkeit der historischen Erkenntnisarten war damit von gröfitemGewicht. Schelling stellte infolgedessen fest: „Die Frage . . . nämlich ob Historie Wissenschaft seyn könne, scheint wegen ihrer Beantwortung keinen Zweifel zuzulassen. Wenn nämlich Historie als solche, und von dieser ist die Rede, der letzten entgegengesetzt ist, wie im Vorhergehenden allgemein angenommen wurde, so ist klar, dafi sie nicht selbst Wissenschaft seyn könne, und wenn die realen Wissenschaften Synthesen des Philosophischen und Historischen sind, so kann eben desswegen die Historie selbst nicht wieder eine solche seyn, so AaO. S. 280. AaO. S. 309. AaO. S. 280: „Diese aufiere Erscheinung kann nur der Abdruck des innern Organismus des Urwissens selbst, und also der Philosophie seyn, nur dafi sie getrennt darstellt, was in jenem, und ebenso in dieser, eines ist“. Das Verständnis fiir die doppelte erkenntnistheoretische Funktion der historischen Erkenntnis ist folglich fiir eine richtige Darstellung des charakteristischen Zuges des schellingschen Vernunftsstandpunktes notwendig. Schelling verwarf die von dem enzvklopadischen Erkenntnisideal gepragte Universalgeschichte: das blofi Historische war an sich von zufalliger Art (s. aaO. S. 233: „blofi historisch zu iiberliefern") und damit war auch das Strehen nach empirischer Vollstandigkeit sinnlos (s. S. 230: in Hinsicht auf „äufiere Vollständigkeit“. Vgl. in dieser Hinsicht die Natur der episch-poetischen Geschichte, S. 311 f.) Stattdessen war es, gemäfi Schelling, zumindest zu dieser Zeit, notwendig, seine Gedanken der objektiv bestimmten Geschichtserkenntnis zuzuwenden, aaO. S. 311. 168 169

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