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50 In der organischen Bildung wird ein Potential — Natur — in sinnlichem Ausdruck realisiert. Mithin wird die Bewegung, die die reale Existenz eines Dinges ist, von dessen Entwicklung hin zur Vollkommenheit gebildet; die inneren, bildenden „Natur“-Gesetze, die diesen Entwicklungsprozeft steuern, gehen von der apriorischen Einheit der Dinge aus, deren Wesen. Die reflexionsphilosophische Vernunft sieht sich angesichts der freien Natur gezwungen, eine allgemeine Ubereinstimmung zwischen der materiellen Vernunftseinheit — der Idee — und dem Wesen der Dinge anzunehmen. Dadurch wurde es auch der kantianischen Vernunft möglich, eine gewisse materielle Bearbeitung des historischen Stoffes durchzufiihren.'^^ Hiermit hatte jedoch diese Vernunftskonzeption ihre äufierste Grenze erreicht; die kantianische Vernunft war dazu verleitet worden, fiber die Grenzen der Erfahrungserkenntnisse hinauszugehen und ihr einziger schwacher Schutz dagegen, in das Spiel der Zufälligkeiten hineingezogen zu werden, stellte der kritische Vorbehalt dar. Die Vernunft hatte bei Kant nicht die Möglichkeit, auf dem sicheren Weg der Wissenschaft, Erkenntnis fiber die Einheit der Objektwelt zu erlangen und die Erkenntniskategorie „Idee“ konnte damit nur eine regulative Funktion bei der Erkenntnis innehaben. Es ist, u.a. ausgehend von dem oben zitierten Passus aus Kants Herder-Rezension, offenbar, daft Kant einsah, daft die einzige Möglichkeit zu einer Verbindung zwischen der produktiven Fähigkeit der Vernunft und der verborgenen Einheit der Objektwelt in der Bearbeitung der empirischen Erkenntnis lag. Aus Herders, von Kant analysierter, Bestimmung des Organismusbegriffes geht der charakteristische Trieb der freien Natur hervor, ihr ideales Potential zu realisieren und sich damit zum Vorbild ffir die sinnliche Beobachtung der Vernunft zu machen. Es macht den Eindruck, als ob die Natur sich auf eine solche Weise auszudrficken sucht, damit auch eine emanzipierte Vernunft in der Lage wäre, dies aufzufassen - dies ist jedoch nach Kants Meinung nicht der Fall. Die Möglichkeit, fiberhaupt Erkenntnis fiber die Einheit der Objektswelt zu gewinnen, „kommt“ allerdings „darauf an, ob die Erfahrung etwas von einem solchen Gange der Naturabsicht entdecke“; aber Kants Antwort auf diese, ffir die Reichweite der wissenschaftlichen Argumentation entscheidende Frage, bildete nur ein Lakonisches: „etwas Weniges . . Die Eindrficke, die die Vernunft von der vielfältigen Objektswelt bekam, beschränkten sich auf „schwache Spuren der Annäherung“.'^* Damit wurde jede weitere Kommunikation zwischen Subjekt und Objekt in der philosophisch notwendigen ErWas den nahen Zusammenhang zwischen der Produktivität der Vernunft und der Stellung der freien Natur, des Organismus, in der Erkenntnistheorie anbelangt, s. die aufschlufireiche Darstellung bei Kaulbach in Philosophic der Beschreibung, S. 318. Kant, aaO. S. 34. AaO. ibidem.

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