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42 duktiven Kräfte zu emanzipieren anwandte, fanden sogar ihren Ausdruck in dem Kriterium fiir wahre Vernunftstätigkeit. Fine Disziplin, der es gelungen war, den sicheren Weg der Wissenschaft einzuschlagen, wurde, nach Kants Auffassung, durch die Ubereinstimmung unter den Wissenschaftlern, die kontinuierliche Fonschritte innerhalb des Fachgebietes ermöglichte, gekennzeichnet. Es ist, von der transzendentalphilosophischen Annahme aus gesehen, offenbar, daft die wissenschaftlich kontrollierte Zunahme von Erkenntnis, die Kant hiermit beabsichtigte, nicht nur von einer quantitativen Zunahme des Stoffes ausgemacht werden konnte. Statt dessen wurde die Bearbeitung des Stoffes durch die Vernunft mdas Zentrumder Aufmerksamkeit gestellt: es war die steigende Qualität der Bearbeitung des Materials durch das Erkenntnissubjekt, die den wahren Fortschritt der Wissenschaft konstituierte. Die verschiedenen „kopernikanischen“ Wenden in der wissenschaftlichen Denkweise waren demnach der historische Ausdruck fiir den Punkt, da die produktiven Fähigkeiten der Vernunft ihre friiheren Begrenzungen sprengten. In der wissenschaftlichen Revolution der Metaphysik - der Entstehung der kritischen Vernunft — erreichte doch die Potenzierung der produktiven Fähigkeit des Erkenntnissubjekts ihre endgiiltige Vollendung. Die eigentliche Wissenschaft war ein fiir allemal gegeben''^ und endgiiltig bestimmt. Damit scheint es, als ob Kant, in seinem Versuch, der wissenschaftlichen Tätigkeit einen rein apriorischen Grund zu verleihen, definitiv die Existenz der Wissenschaft aufgehoben hätte. Die kopernikanische Wende mder Philosophie wiirde somit in der Verlängerung bedeuten, daft das Wesen der Wissenschaft faktisch seinen Lebenslauf vollendet hätte. Die statische Natur der Wissenschaft war ein Ausdruck fiir einen grundlegenden Gegensatz zwischen den zwei Ståndpunkten der erfassenden Vernunft, teils der theoretischen Bestimmung des Stoffes durch die kritische Vernunft - teils der praktischen Fähigkeit der Vernunft, sich wenigstens die Möglichkeit einer Objekteinheit des Stoffes vorzustellen. Hierdurch wurde die kantianische Vernunft in zwei getrennte Qualitäten aufgespalten; der idealen Einheit der Vernunft, deren Seele, fehlte es an jeder Verbindung mit ihrer eigenen realen Seite, den Gliedern, mit denen die wissenschaftliche Tätigkeit ausgeiibt werden sollte. Das Erkenntnissubjekt ist folglich in der kantianischen Erkenntnistheorie sowohl eine abstrakte Bestimmung ohne Entwicklungspotential als auch ein Wesen, dessen Charakter gerade von einer zielgerichteten Bewegung ausgemacht wird. Die einzige Verbindung, die zwischen diesen zwei verschiedenen Griinden existiert, ist die vorbehaltslose Feindschaft. Erst durch die Konzipierung des absoluten Vernunftsstandpunktes wiirde es, nach Schellings Auffassung, möglich werden, den Terminus „Fortschritt“ als ein sinnvolles, äuberes Kennzeichen fur wissenschaftliche Tätigkeit anzuwenden: Siehe oben S. 22 f.

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